KNA: Frau Trinkl, was hat Sie in die Fuggerei verschlagen?
Anna Trinkl (Bewohnerin der Augsburger Fuggerei): Es war im Februar 1996, als ich eine Bekannte in der Augsburger Innenstadt getroffen habe. Die lebte seit Kurzem in der Fuggerei und hat mich zu sich eingeladen. Dann habe ich sie besucht - und war baff.
KNA: Warum?
Trinkl: Damals gab es in der Stadt noch viele Vorurteile über die Fuggerei: dass die Wohnungen da winzige, dunkle Löcher seien, zum Beispiel. Dabei habe ich 75 Quadratmeter. Und ich wurde gefragt: "Was, da willst du hin? Diese Hühnerstiegen 'nauf?"
KNA: Hühnerstiegen?
Trinkl: Ja, die Wohnungen im zweiten Stock, so wie ich eine habe, erreicht man nur über recht steile Treppen. Aber Sie haben's ja auch geschafft!
KNA: Und Sie gehen die jeden Tag mehrmals hoch und runter - mit 87 Jahren!
Trinkl: Das hält fit, das kann ich Ihnen wohl sagen! Aber wo waren wir? Genau: Baff war ich! Weil es in der Fuggerei überhaupt nicht duster war, im Gegenteil. Die Anlage ist so malerisch mit den Häusern in Ocker und den grünen Fensterläden und dem ganzen Wein an den Fassaden. Und abends, wenn alle Tore zu sind, hat man dank der Mauer ringsherum so eine himmlische Ruhe.
Ich kam dann von der Bekannten zurück und habe zu meinem inzwischen verstorbenen Mann gesagt: Wir zahlen gerade so viel Miete und haben keine große Rente - da bewerbe ich uns auch. Im Juni drauf sind wir eingezogen.
KNA: Da hatten Sie aber Glück - andere warten jahrelang. Welche Hürden mussten Sie denn vor Ihrem Einzug nehmen?
Trinkl: Wir mussten unsere Ersparnisse vorlegen. Der Sozialdienst kam in unserer alten Wohnung vorbei, um zu sehen, ob wir auch ordentliche Leute sind. Und der Pfarrer hat auch noch ein Gespräch mit uns geführt.
KNA: Apropos Pfarrer: Die Fuggerei-Bewohner sind zu täglich drei Gebeten für die Stifterfamilie verpflichtet. Hand aufs Herz - hält sich jeder daran?
Trinkl: Also ich schon! Mei, man ist ja auch katholisch, das gehört halt dazu. Ich verrichte die Gebete aber auch sehr gern, denn die Fuggerei ist für mich ein großes Glück. Aber natürlich habe ich auch schon mal eins vergessen. Dann rufe ich "Jessas, Maria!" und falte fix die Hände zusammen.
KNA: Nun leben Sie seit 25 Jahren in der Fuggerei. Dabei war die Anlage ursprünglich als Übergangsort gedacht. Wirtschaftlich angeschlagene Bewohner sollten hier auf die Beine kommen und dann wieder ausziehen.
Trinkl: Das ist auch ein richtiger Ansatz. Nur werden Senioren wie ich im hohen Alter natürlich nicht auf einmal noch zu großem Geld kommen.
KNA: Worin liegt also das Glück, von dem Sie sprechen?
Trinkl: Mein Mann hat immer gesagt: "Die Fuggerei ist das Paradies." Recht hat er. Es ist so idyllisch, nicht umsonst kommen die Leute von überallher. Und dadurch gibt es hier auch immer wieder herrlichen Trubel. Man hat was zu schauen, man beantwortet gern auch Fragen.
Einem Buben hab ich sogar mal meine Wohnung gezeigt, weil er sich das gewünscht hat. Und neben "normalen" Leuten besuchen uns auch immer wieder Prominente: Gorbatschow habe ich gesehen, eine thailändische Prinzessin, den König von Jordanien, jetzt war gerade die Ilse Aigner da, unsere Landtagspräsidentin. Wo hat man denn sonst solche Menschen vor der Türe stehen? Hier wird was geboten!
KNA: Sind Sie vielleicht auch etwas stolz, in einer solchen Attraktion zu wohnen?
Trinkl: Auf jeden Fall! Die Fuggerei ist ja ein historischer Ort von Bedeutung, es gab sie lange vor mir und wird sie hoffentlich auch lange nach mir geben. Schön ist hier übrigens auch die Gemeinschaft, die von der Fuggerei-Verwaltung gefördert wird. Für uns gibt es regelmäßig Frühstücke im Gesellschaftsraum, Tagesausflüge und Blumenfeste oder Angebote wie Sitztanz und Kaffee und Kuchen. In der Pandemie musste zwar manches ausfallen. Aber gerade zur Corona-Zeit ist es schön, hier in der Fuggerei nicht anonym wie vielleicht in irgendeinem Mehrfamilienhaus zu leben.
KNA: Noch mal zu den Touristen: Nerven die nicht auch mitunter?
Trinkl: Man erlebt schon manchmal Seltsames. Mir wurde mal gesagt, ich sei doch sicher nur zu Besuch in der Fuggerei. "Sie sehen ja zu gut aus." Manche Besucher meinen, wir müssten hier Lumpen tragen. Andere haben sich über Orchideen auf der Fensterbank mokiert. Das seien ja wohl zu feine Blumen! Ich habe auch gehört, manche dächten, wir seien Statisten in einem Freilichtmuseum. Außerdem wurde ich gefragt, ob's hier überhaupt fließendes Wasser gebe. Ja mei, da ist man dann erst mal platt.
KNA: Zum Schluss bitte noch ein Blick in die Zukunft, Frau Trinkl. Was sollte sich an der Fuggerei ändern?
Trinkl: Dass es bloß eine einzige davon gibt. Gerade in der heutigen Zeit der Wohnungsnot kann es von solchen tollen Siedlungen eigentlich nicht genug geben.