Warum gibt es ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht in Deutschland?
Die arbeitsrechtlichen Bedingungen für die über 1,3 Millionen Mitarbeiter der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände unterscheiden sich erheblich von den für andere Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen. Grundlage dafür ist das Grundgesetz, das den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit Blick auf die Religionsfreiheit ein weitgehendes Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht einräumt. Damit unterscheidet sich Deutschland deutlich von anderen europäischen Staaten, die den Kirchen eine solche Sonderstellung nicht einräumen.
Was besagt das Arbeitsrecht der Kirchen?
Von Kirchenmitarbeitern in Deutschland wird eine gewisse Übereinstimmung mit den kirchlichen Glaubens- und Moralvorstellungen auch im Privatleben erwartet. Ein Verstoß gegen diese Loyalitätspflichten - etwa Kirchenaustritt oder zweite Zivilehe nach Scheidung - kann, nach Konfession unterschiedlich, abgestufte arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung nach sich ziehen.
Was sagen die Gerichte zum eigenen kirchlichen Arbeitsrecht?
Bei den meisten Fällen ging es immer wieder um die Abwägung zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss der Religionsfreiheit und den individuellen Menschenrechten der Beschäftigten auf Meinungs- und individuelle Glaubensfreiheit, das Recht auf Privat- und Familienleben oder Schutz vor Diskriminierung etwa aufgrund von sexueller Orientierung oder Religionszugehörigkeit. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof forderte in mehreren Fällen eine Abwägung in jedem Einzelfall und je nach Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag. Er betonte stärker die individuellen Menschenrechte. Dagegen stärkte das Bundesverfassungsgericht eher das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Die staatliche Neutralität verbiete es den Gerichten, eine eigene Bewertung religiöser Normen durchzuführen.
Wie sehen die Kirchen das?
Das ist eine Sichtweise, die der Leiter der Tübinger Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht, Hermann Reichold, ablehnt. Er betont, dass nach deutschem kirchlichem Arbeitsrecht eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern mit verschiedenen Konfessionen legitim sei. "Wenn man aber in diese Sachprüfung einsteigt, dann hat man aus unserer Sicht bereits eine rote Linie überschritten, denn das fällt ausschließlich in den Autonomiebereich der Kirchen, darüber zu bestimmen."