10. Sonntag nach Trinitatis BWV 102

Bachkantate am 27. Juli 2008

"Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben": So ist die Kantate für den heutigen 10. Sonntag nach Trinitatis überschrieben. Johann Sebastian Bach hat sie für den 25. August 1726 komponiert. Der Text knüpft an das Sonntagsevangelium an, geht jedoch auf keine Einzelheiten ein, sondern entnimmt ihm lediglich die Mahnung, rechzeitig Buße zu tun.

 (DR)

Die Kantate besteht aus zwei Teilen: Der 1. Teil, der vor der Predigt aufgeführt wurde, schildert die Gefahren, die der Seele drohen, die nicht rechtzeitig Buße tut. Im zweiten Teil, der dann nach der Predigt zu hören war, geht es dem Dichter darum, die Menschen, die noch nicht zur Buße bereit sind, wachzurütteln und zur Bekehrung aufzurufen.

Der Text des Eingangssatzes stammt aus dem Alten Testament. Der Dichter lehnt sich hier an den Propheten Jeremia an, bei dem es heißt: „Herr, sind deine Augen nicht auf Treue gerichtet?".  

Auf ein schlichtes Rezitativ folgt der 3. Satz, eine Arie, deren Gestik an eindringlicher Wirkung nur kaum zu überbieten ist. Die Oboe setzt mit einem langgehaltenen, dissonanten Ton ein. Bach versucht hier, die Klagerufe der Seele, die keine Buße will, musikalisch hörbar zu machen. Und nicht nur zu Beginn, sondern immer wieder haben wir es in diesem Satz mit ungewöhnlichen Intervallschritten zu tun. Immer wieder tauchen sogenannte musikalische Querstände auf, die so höchst anschaulich das Bild einer Seele zeigen, die - wie es im Text heißt - „von ihres Gottes Gnaden selbst sich trennt".

Der Text des vierten Satzes entstammt dem Römerbrief. Und dieser Satz schafft durch die Durtonart und den lebhaften Dreiertakt einen deutlichen Kontrast zur vorhergehenden Arie. Im Mittelteil dieser Bassarie macht Bach die Verstocktheit des Herzens durch viermalige Motivwiederholung musikalisch hörbar.

Die Arie „Erschrecke doch", die den II. Teil der Kantate einleitet, hat die Absicht, den Sünder wachzurütteln. Die musikalischen Mittel sind weiträumige Melodik und lebhafte Bewegung. Und auch hier setzt Bach den Textinhalt fast  überdeutlich in musikalische Sprache um. Ist vom „Langmut Gottes" die Rede, der auf einem „Fuß von Blei" geht, verwendet Bach lange Haltetöne. Wenn vom „hereinbrechenden Zorn" die Rede tauchen auf einmal schnelle Notenwerte auf.

Auch das nachfolgende Rezitativ, der sechste Satz, weist auf die dringende Notwendigkeit der Buße hin. Musikalisch wird diese Mahnung unterstrichen durch die Formung als motivgeprägtes Accompagnato, ausgeführt durch zwei Oboen:

BWV 102: „Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben".
Tölzer Knabenchor, Concentus musicus Wien, Leitung: Nikolaus Harnoncourt.


Quelle/ Literatur: Alfred Dürr: Die Kantaten Johann Sebastian Bachs. Bärenreiter, 1995