Um halb drei steht er plötzlich da: Monsignore Klaus Mayer. Dass er über 90 Jahre alt ist, kann man nur ahnen. Seine Augen blitzen. Alles an ihm ist ständig in Bewegung. Eine flirrende Spannung entsteht im Publikum. Hier wird etwas Besonderes passieren.
Und etwas Besonderes passiert: Monsignore Mayer bannt sein Publikum mit Worten, Blicken, Gesten. Wie ein Scheinwerfer bündelt er die Aufmerksamkeit von Glasquadrat zu Glasquadrat. Schon leuchtet das Rot roter, das Grün grüner, das Gold goldener. Die Fenster fangen an zu leben, die Figuren zu sprechen und das Blau, das alles und alle umfängt, senkt sich in die Herzen der Zuschauer - wie es sonst nur ein wolkenloser Himmel vermag, dem man sich lang ausgestreckt anvertraut. Oder wie man sich im tiefblauen Meer geborgen verliert.
Monsignore Mayer war mit Marc Chagall, dem Künstler der Farbe und der Bibel, befreundet. Er hat Chagall gewonnen, die Fenster für die im Krieg dreimal zerstörte Stephanskirche zu schaffen. Als Zeichen des Friedens. Wie es nur ein Jude, der vor der Nazivernichtung fliehen musste, im Land der Täter schaffen konnte. Als Zeichen des Trostes, der Kraft und der Freude. Wie es nur Mystiker vermögen. Als Zeichen eines Künstlers, der seinen Studenten sagt: "Talent und auch Genie sind nichts. Ein Werk muss Liebe, Liebe, Liebe sein."
Diese Fenster sind Farbe gewordene Liebe. Und der, der von den Bildern so beredt wie bewegt erzählt, liebt die Menschen genauso innig. Berührt Herzen und Seelen. Lässt sie durch Chagalls Glasbilder fliegen. Und die Bilder ins Publikum. Die Engel schweben in den Raum. Oder stürzen sich in die Arme der Menschen, um Unheil zu verhindern.
Längst ist zum grauen Himmel noch die Dämmerung über den Fenstern eingebrochen. Die Figuren werden zu Schatten, verschwinden im Dunkel. Aber rechts oben, im obersten Spitzbogen, leuchtet es immer heller. Genau dort, wohin Chagall die Weisheit Gottes gemalt hat. Die in Liebe zu uns strahlen will.
Was für ein Bild zum Advent.