Wort des Bischofs

Der Zug ist abgefahren ...

Weniger Gottesdienstbesucher, weniger Priester: Der Alltag in den Gemeinden verändert sich. Das verunsichert viele Gläubige. Auch Kölns Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hat kein Patentrezept parat. Trotzdem blickt er optimistisch nach vorne.

 (DR)

Herr Bischof, wie soll das nur alles weitergehen? Wo führt das nur hin? Sehr häufig höre ich diese besorgten Fragen, wenn ich in unseren Gemeinden unterwegs bin. Es gibt vielfach eine große Unsicherheit über den weiteren Weg der Kirche. Vieles, was uns Christen in unserem Gemeindealltag so vertraut und gewohnt erschien, funktioniert einfach nicht mehr. Angesichts des zunehmenden demografischen Wandels und auch einer weitergehenden Säkularisation gibt es immer weniger Gläubige, immer weniger Gottesdienstbesucher, immer weniger Priester und andere pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Alles wird irgendwie immer weniger und führt dann im konkreten Gemeindeleben vor Ort zu immer mehr Problemen.

Von mir als Bischof wird dann als Verantwortlichem ein Patentrezept erwartet - quasi eine Antwort auf alle Fragen. Und sehr oft spüre ich auch eine hohe Erwartung - eine Erwartung, dass doch bitte alles so bleiben soll, wie es ist oder noch besser - alles wieder so schön werden soll, wie es früher doch immer war. Leben aber ist nie fertig. Leben ist immer Veränderung. Christen, die Gott entgegengehen wollen, wissen das seit Jahrtausenden. Exodus - Auszug und Aufbruch ist angesagt. Damals für Israel - Aufbruch in das neue, in das gelobte von Gott geschenkte Land. Wie das heute aussieht? Auf jeden Fall nicht einfach so, wie das Gemeindeleben früher einmal war.

Wir sind als Kirche Teil unserer Gesellschaft, und die steht in einem Veränderungsprozess, immer wieder neu. Und wer genau hinsieht, der weiß und bemerkt, dass wir uns als Kirche auch in unseren Gemeinden schon seit vielen Jahren immer wieder verändert haben. Früher war unser Leben in den Gemeinden vielleicht eher so wie ein Zug oder Bus, der z.B. jeden Sonntag um 10 Uhr an der gewohnten Haltestelle hielt - es stiegen die gewohnten Mitfahrer ein und nach einer Stunde Gottesdienstfahrtzeit stiegen alle wieder an der gewohnten Haltestelle aus. Manche Christen hatten dann noch unter der Woche ihren eigenen Frauengemeinschaftszug oder Kolping-Regionalexpress oder BDKJ-Bus. Alles war bestens und so schön geregelt, mit festen An- und Abfahrtzeiten und liebgewordenen Mitfahrern und Gewohnheiten.

Zukünftig werden diese "Gemeinde-Sonderzüge" oder "Verbands-Busse" immer seltener kommen - in manchen Kirchengemeinden vor Ort ist gar der Zug längst abgefahren. Es hilft jetzt auch nicht zu jammern, nach Schuldigen zu suchen oder nur besorgt nach dem Bischof zu rufen. Angesagt sind meiner Ansicht nach viel mehr die Bildung kleiner christlicher Gemeinschaften, die sich organisieren und die gemeinsam ihren Glauben und Beziehungen, das Leben, miteinander teilen - quasi neue christliche Fahrgemeinschaften - die sich als Kirche vor Ort verstehen. Die nicht den großen Zügen und Bussen hinterherweinen, sondern sich vernetzen, ganz real, vielleicht auch mit digitaler Hilfe. Die vor Ort als Christen neue Weggemeinschaften bilden und auf ganz neuen Wegen mutig Gott entgegengehen. Wer aber dieses Ziel vor Augen hat, der darf sich gewiss sein: Wer glaubt, ist nie allein, der darf Gott immer an seiner Seite wissen.

Ihr Rainer Woelki

Erzbischof von Köln