Wie so oft bei Begriffen aus der christlichen Welt stammt auch das Wort Prophet aus dem Griechischen. Doch der Ursprung ist nicht christlich oder biblisch. Es hat vielmehr mit dem alten Mythos des Orakels von Delphi zu tun, aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Der Bibelwissenschaftler Gunter Fleischer weiß, dass laut der alten Legende dabei eine Person in einer Höhle saß, die aufgesucht wurde, um Ratschläge oder Vorhersagen zu erfragen. Auf die spezielle Anfrage hin, soll diese Person dann "Murmellaute" von sich gegeben haben, die jedoch niemand verstand. Darum gab es eine weitere Person, die diese "Murmellaute" in eine verständliche Sprache übersetzte: "Und das war der Prophet", erklärt Gunter Fleischer.
Der Prophet war also eigentlich eine Art Dolmetscher oder Mittler. Das Wort Prophet findet dann ein paar hundert Jahre später Einzug in die griechische Bibel, und zwar als Übersetzung für das hebräische Wort nabi aus dem Alten Testament. Doch hier verweist Gunter Fleischer schon darauf, dass die die korrekte Übersetzung von nabi nicht Dolmetscher ist, sondern eher: Berufener.
Eine Art Dolmetscher
Denn beim Propheten oder besser gesagt beim Nabi geht es in erster Linie nicht um das Deuten nebulöser Zeichen. Die Aufgabe dieses Berufenen ist es, Sprachrohr Gottes zu sein, wie Gunter Fleischer weiß: "Er sagt etwas zur Gegenwart, meistens: Es läuft schlecht, anders als Gott sich das gedacht hat. Und als zweite Aufgabe sagt der Prophet, was sich im Sinne Gottes ändern muss, und droht Konsequenzen an für den Fall, wenn sich nichts ändert."
Beispiele dafür gibt es vor allem im Alten Testament. Allen voran Mose, der als Sprachrohr Gottes die Zehn Gebote überbringt. Oder Jesaja, der die Kult-Praktiken seines Volkes kritisiert. Aber auch von Frauen als Prophetinnen ist die Rede, etwa von Mirjam, die gegen den Brauch der Ehescheidungen auftritt.
Propheten verspüren einen Auftrag, den sie sich nicht gesucht haben
Doch wie sind all diese Gestalten überhaupt zu Propheten geworden? Die Bibel berichtet da von Berufungserlebnissen. Fleischer fasst diese Erlebnisse alle als einschneidende Erlebnisse zusammen mit der Folge: "Die Berufenen verspüren in sich einen Auftrag, den sie sich nicht gesucht haben." Bestes Beispiel dafür ist der Prophet Jeremia, der sich sogar gegen das Berufungserlebnis wehrt, dann unter seinem Prophetendasein leidet und für seine Botschaften schließlich abgelehnt wird.
Propheten sehen tiefer, vielleicht aufgrund einer engeren Verbindung zu Gott, "und aus dieser Perspektive Dinge anders beurteilen können als vielleicht der Durchschnittsmensch", meint Gunter Fleischer: "Man schließt sich mal nicht einfach dieser Weltlogik an, nach dem Motto: ‚Es muss doch so laufen‘. Da sagt einer: ‚Nein, aus der Perspektive Gottes muss es eben gerade nicht so laufen und darf auch so nicht laufen.‘"
Propheten sind Instrumente Gottes
Darum sind Propheten immer auch als Instrument Gottes zu verstehen. Ihre Botschaften sind Teil des Plans, den Gott mit der Welt hat. Gipfel dieses Heilsplans ist für die Kirche Jesus Christus. Er selbst ist die größte Botschaft, die Gott für die Welt hat. Die kann nicht mehr überboten werden. Darum wird auch Johannes der Täufer, der als Vorläufer Jesu gilt, als der letzte Prophet im Heilsplan Gottes bezeichnet.
Doch heißt das dann, dass es heute keine Propheten mehr geben kann? Nein, meint der Apostel Paulus, schon wenige Jahre nach Jesu Tod in seinem Brief an die Korinther. Da schreibt er, dass Gott die Gläubigen in der Kirche oft zu ganz unterschiedlichen Aufgaben befähigt: zum Beispiel zu der des Propheten. Und auch Gunter Fleischer meint:
"Die Kirche braucht Propheten. Sie braucht diese Menschen, die ausgezeichnet sind durch eine besondere Nähe zu Gott und deshalb auch besonders Orientierung geben können. Paulus sagt, das ist ein eigenes Charisma, eine eigene Geistesgabe, das kann längst nicht jeder. In dem Sinne ist Prophetie tatsächlich Teil von Seelsorge – ein Wächteramt."