Und weiß im nächsten Moment: ähm, stimmt. Der Herbst hat jetzt ja auch schon im Kalender angefangen. Natürlich weiß ich das. Eigentlich.
Uneigentlich aber habe ich mich von dem hellen, warmen Licht am frühen Abend in die Irre führen lassen. Ich dachte, wirklich, es sei Sommer. Ein bisschen verwirrt gehe ich weiter, schaue genauer hin: Ja, die Bäume sind überwiegend noch grün. Aber an den Spitzen doch schon gelb.
Normalerweise bekomme ich um diese Jahreszeit Besuch. Vom Herbstschmerz. Durch den müssen wir drei, der Herbst, der Schmerz und ich jedes Jahr durch, sobald der Herbst seine ersten Boten schickt. Jeder orangenfarbene Kürbis, jede Sonnenblume und jede Flasche Federweißer im Regal sind dann nichts als ein niederträchtiger, hinterhältiger Angriff auf "meinen" Sommer.
Den ich entschlossen verteidige, jedes Jahr aufs Neue. Nein, nein: ich kann noch auf der Gartenbank meinen Tee trinken, noch im Freibad schwimmen gehen und auch noch in der Sonne sitzen und Kolumnen schreiben. So wie jetzt gerade. Freiwillig konzediere ich, frühestens, wenn ich die ersten Martinsfeuer mit eigenen Augen brennen sehe, dass jetzt, vielleicht dann doch, der Herbst angefangen hat...
In diesem Jahr war ich irgendwie zu beschäftigt. Geburtstage, die Schule fängt an, die Kammer muss aufgeräumt werden. Sie kennen das. Für den Herbst, seine Boten oder das Ende des Sommers hatte ich offensichtlich keine Zeit.
Aber, ob ich Zeit habe ist dem Herbst doch egal. Plötzlich weiß ich: die Boten des Herbstes sind nicht Kürbis und Federweißer. Der Bote des Herbstes ist der Schmerz. Genauer der Vorschmerz. Den es genauso gibt, wie es die Vorfreude, die die Freude ankündigt, gibt. Was so köstlich schmeckt wie Kürbis und Federweißer und so bunt leuchtet, wie Astern und Sonnenblumen, kann kein Schmerz sein. Und schon Vorschmerz ist auf ziemlich hohem Niveau gejammert.
Ich mein, der echte Schmerz, der Winter, die Kälte, der Abschied, der Tod - die kommen. Todsicher.
Ich weiß nicht, was Sie heute vorhaben - aber ich werde meine Sippe versuchen in den Wald zu schleifen.
Den immer bunteren Herbstwald.