Werde ich oft gefragt. Und genauso oft denke ich darüber nach. Warum an die Barbarei der Nationalsozialisten erinnern? Immer noch? Jetzt, wo auch die allerletzten Zeitzeugen von uns gehen.
Wer an diesem Morgen zur Enthüllung der Gedenktafel für Jerzy Gross, den Jungen von Schindlers Liste, gekommen ist, stellt die Frage nicht.
Nicht der Bürgermeister, der die neue Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, vertritt. Schwerverletzt muss sie sich noch von der schrecklichen Messerattacke auf sie im Wahlkampf erholen. Sie sei mitschuldig, wenn das Land zum Islam überlaufe, sagt der Täter der Polizei.
Nicht der Vorstandsvorsitzende der GAG, der Wohnungsbaugenossenschaft, zu der die Siedlung gehört, in der der Junge von Schindlers Liste seine letzten Jahre lebte. "Miteinander", sagt der Vorstandsvorsitzende, der unverblümt hinweist auf die Verstrickung der GAG in der Nazizeit, "miteinander nur verhüten wir solche Zeiten."
Nicht der Chor, der sich eigens für diese Feierstunde am Geburtstag des Jungen von Schindlers Liste zusammengefunden hat.
Um zwölf Uhr will der Chor "In stiller Nacht" von Brahms singen. Um zwölf Uhr schweigt die Welt in Trauer um die Opfer von Paris. Wir schweigen mit.
Dann hören wir: Der schöne Mon will untergon,/für Leid nicht mehr mag scheinen, /die Sterne lan ihr Glitzen stahn, /mit mir sie wollen weinen.
Tränen fließen. Für die Opfer von damals. Für die Opfer von heute. In mir stählt sich die Entschlossenheit. Jetzt ist es wichtig, wach zu sein. Für Flüchtlinge da zu sein. Für die, die im Elend von Flüchtlingslagern ausharren. Für die, die sich nach hier retten. Und für vergessene Jugendliche in grauen Vorstädten.
Mitzureden, wenn vom "Krieg der Werte" die Rede ist. Davon, dass der Islam unsere Welt bedrohe und das christliche Abendland sich wehren müsse. Und Bomber schon unterwegs zum Militärschlag sind.
Ja, wir müssen uns wehren. Aber nicht gegen eine Religion. Sondern gegen Verbrecher, Kriminelle, die ihre Religion missbrauchen.
Die Tafel wird enthüllt. In der solarbetriebenen Sonnensiedlung singen Vögel.
Die Delegation einer Schule zitiert einen Brief, den Rosa Luxemburg 1917 im Gefängnis schrieb: "So ist das Leben und so muss man es nehmen – tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.“
Darum machen wir das.