Der Begriff Tochter Zion ist eine Metapher, die im Judentum fest verankert ist. Im 6. Jahrhundert vor Christus, als sich die Juden im babylonischen Exil befanden, wurde Tochter Zion zum oft gebrauchten und besungenen Bild für Jerusalem: die ferne und doch so geliebte Hauptstadt ihrer Heimat.
Ursprünglich ist der Zion die Bergfestung der Jebusiter gewesen, die dann von David, dem späteren König Israels, erobert wurde. Der Name Zion wanderte dann gleichsam von der Bergnase, auf der er seine Hauptstadt errichtet hatte, auf den darüber liegenden Berg, wo der Tempel von Davids Sohn Salomon errichtet wurde. Der Berg Zion ist also der Ort, wo die Israeliten ihren ersten Tempel in Jerusalem bauten, und damit das religiöse Zentrum ihres Glaubens.
Pfarrer Gerhard Dane, der Jerusalem aus zahlreichen Besuchen dort kennt, beschreibt, dass der Name Zion für Juden vor allem mit "der Sehnsucht verbunden ist, bei Gott zuhause zu sein. Der Zion ist für Juden bis heute so eine Art Bodenstation des unendlichen Gottes, wo er erreichbar ist."
Die Sehnsucht nach Gott bündelt sich in einem Ort
Die Sehnsucht nach Gott bündelt sich hier also in einem konkreten Ort, an dem man die Nähe Gottes besonders spürbar zu sein scheint. Es geht also auch um so etwas wie eine persönliche Beziehung. Und damit wird der Zusatz Tochter Zion verständlich: "Tochter - manchmal wird auch gesagt Jungfrau Jerusalem - da schwingt die Freude darüber mit, dass Gott mit dieser Stadt verheiratet ist, dass sie für ihn eine begehrenswerte Braut ist, einzig unter allen Städten der Welt", meint Pfarrer Dane. Aufgrund dieses Charakters von Auserwählt-Sein trägt die Stadt Jerusalem auch den Beinamen Heilige Stadt.
Und insofern hier die Liebe Gottes zu einer Stadt mitschwingt, wird schon deutlich, dass mit Tochter Zion nicht nur die Stadt als Ort, sondern auch ihre Bewohner gemeint sind: Das von Gott erwählte Volk Israel. Nun könnte aber der Eindruck entstehen, dass es sich bei Tochter Zion um einen rein auf das Judentum bezogenen Begriff handelt. Wenn die Christen aber in der Advents- und Weihnachtszeit auch das bekannte Lied von der Tochter Zion singen, die sich freuen soll auf den ankommenden Messias, dann meinen sie damit auch sich selbst als Volk Gottes. Pfarrer Dane meint, dass es auch die Juden dieses Lied theoretisch mitsingen könnten, denn "es begrüßt den Messias, auf den die Juden bis heute warten, von dem wir Christen glauben, dass er in Jesus schon gekommen ist. Doch weil das Lied ja nicht davon spricht, dass Jesus von Nazareth der Messias sei, was die Christen glauben, könnten Juden durchaus mitsingen."
Ein ursprünglich rein jüdischer Begriff, auch für Christen von Bedeutung
Mit Tochter Zion können auch die Christen die Stadt Jerusalem als bleibenden Ort der Sehnsucht besingen. Zunächst ist das natürlich wegen Jesus so, der als Jude selbst die innige Beziehung zu dieser Stadt lebte, sogar über sie weinte. Hier wurde Jesus gekreuzigt und begraben, es ist auch der Ort seiner Auferstehung und schon allein darum für Christen von großer Bedeutung. Und es gibt noch einen weiteren Grund, denn Jerusalem ist im letzten Buch der Heiligen Schrift, in der Offenbarung des Johannes, auch Bild für die Vollendung der Welt. "Wir erwarten das neue Jerusalem für Juden, Christen und alle Menschen", fasst Pfarrer Dane diese Prophezeiung zusammen.
Fazit: Das Bild von der Tochter Zion für Jerusalem beschreibt die gemeinsame Erfahrung von Juden und Christen, dass Gott den Menschen in besonderer Weise nahe gekommen ist und nahe bleibt – wie ein Vater seinem Kind.