Der Autor Burkhard Spinnen schildert die Überforderungen, die er durchlebt hat, als seine Mutter an Demenz erkrankte. Da ist zunächst der schleichende Beginn der Krankheit. Als Sohn, der nicht mehr zuhause lebt, sondern häufig mit seiner Mutter telefoniert, hat er das Gefühl, seine Mutter sei altersbedingt etwas vergesslich geworden, er denkt, das sei nicht weiter schlimm. Heute sagt er, seine Mutter habe ihre Erkrankung vertuscht, so wie jeder Mensch, der älter wird, es als ganz normal in Kauf nimmt, etwas vergesslicher zu werden. "Eine gewisse Vergesslichkeit im Alter kaschieren wir doch alle, damit wir keine Peinlichkeiten erleiden“, sagt Spinnen, "das kann aber dann - so wie bei meiner Mutter – im Verlauf einer Demenzerkrankung dazu führen, dass letztlich die Anstrengung, die Krankheit zu verdrängen, zu überspielen, so groß wird, dass dahinter gar nicht mehr die Kraft da ist, mit der Erkrankung sinnvoll umzugehen".
Das Zuhause bleibt zurück. Der Weg ins Altersheim.
Seine Mutter versucht mit aller Kraft die Fassade der Normalität aufrecht zu erhalten, damit sie wie bisher in ihrem geliebten Zuhause leben kann. Als die Demenzerkrankung immer schlimmer wird, muss der Sohn dafür sorgen, dass seine Mutter gegen ihren Willen ins Altersheim kommt. Burkhard Spinnen fühlt sich dabei schuldig, obwohl ihm alle Ärzte und Pfleger sagen, dass sei ganz normal – diese Schuldgefühle kenne jeder Angehörige, aber die Einweisung sei nicht abzuwenden. "Aber es ändert nichts daran, dass man die Verantwortung übernimmt, einen Menschen gegen seinen Willen aus seiner gewohnten geliebten Umgebung heraus zu holen, weil dieser Mensch nicht begreifen kann, dass diese Umgebung für ihn gefährlich und unerträglich zu werden beginnt“, sagt Spinnen. Als belastend empfindet der Autor auch, dass seine Mutter plötzlich Dinge von ihm fordert, die er nicht erfüllen kann. Einmal möchte sie zu ihm ins Bett kriechen, er soll sie trösten. Das hat die Mutter für ihn als Kind getan, aber er – als Sohn – kann diesen Rollentauch nicht umsetzen. "Das ist so eine heikle, dramatische Situation", erzählt Spinnen, "in der plötzlich von einem etwas gefordert wird, was man so nicht geben kann, weil sich die eigene Identität, das eigene Selbstverständnis dagegen sperrt“.
"Es ist unmöglich, alles richtig zu machen".
"Ich konnte meine Mutter nicht trösten“, schreibt Burkhard Spinnen und fragt sich, "Was kann ich überhaupt für meine an Demenz erkrankte Mutter tun?“ Er besucht sie regelmäßig im Altersheim, sie erkennt ihn, und dann strickt die Mutter Schals und die beiden reden darüber, wie es ihr gelingen kann, mit dem Stricken von Schals ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Burkhard Spinnen gelingt es, sich auf dieses Spiel einzulassen, weil es seine Mutter tröstet. Der Autor ist als Einzelkind bei der Unterstützung seiner Mutter allein. Er rät allen in einer ähnlichen Situation, sich hier auch Hilfe von außen zu holen: "Ich kann nur jedem raten, die Beratungsstellen, die es dafür gibt, aufzusuchen. Man muss sich allerdings darüber bewusst sein, dass man nicht dorthin gehen kann und dann einen Lösungsvorschlag auf einer Din-A-4-Seite bekommt, dafür sind die Fälle viel zu individuell. Aber sich heranzusprechen an die Komplexität, sich auch heranzusprechen an eine Situation, in der man erkennen muss, ich werde jetzt nicht alles richtig machen, es wird alles schlimm werden, das ist ein sehr guter Schritt, sich von der Vorstellung zu entlasten, ich muss jetzt allein ganz schnell alles richtig machen“. Burkhard Spinnen beschreibt in seinem Buch eindrucksvoll, wie die Demenzerkrankung seiner Mutter ihn völlig aus seinem Alltag reißt, und wie er versucht, sich den "Überforderungen“ zu stellen. "Die letzte Fassade“ ist ein kluges, genau beobachtetes Porträt einer neuen Volkskrankheit, die sich Jahr für Jahr in unserer alternden Gesellschaft vorwärts arbeitet und immer mehr Menschen und ihren Angehörigen droht.