Olga Grjasnowas Roman über syrische Flüchtlinge

"Gott ist nicht schüchtern"

"Wir sehen nur diese 30 Sekunden-Clips, in denen wir kurz die Gesichter der Menschen sehen und die Zahlen hören, aber wir verstehen nicht, dass da Leben unnötig ausgelöscht werden und ganze Familien betroffen sind", sagt Olga Grjasnowa. In ihrem neuen Roman "Gott ist nicht schüchtern" erzählt sie die Geschichte zu den Gesichtern. Zwei Flüchtlinge fliehen über das Mittelmeer und erreichen unter Lebensgefahr Deutschland.

Olga Grjasnowa / © René Fietzek (Aufbau Verlag)

In Berlin lernte Olga Grjasnowa ihren Ehemann kennen, einen Syrer, der vor der Diktatur Assads geflohen und in Berlin gestrandet ist. Eigentlich, so erzählt sie, hatte sie ein ganz anderes Thema für einen Roman im Kopf, doch dann wurde das Thema Syrien immer größer. "Es kamen immer mehr Familienmitglieder und Freunde meines Mannes – die mussten fliehen, und es ging bei uns nur noch darum, was passiert als nächstes, wie kommt man an ein Visum und wohin kann man überhaupt noch fliehen. Das bestimmte unser Leben", erzählt die Autorin. "Zeitgleich habe ich festgestellt, dass ich gar nichts über Syrien weiß. Ich habe angefangen zu recherchieren". Schreiben sei für sie der einzig mögliche Weg nachzudenken, um sich über Dinge klar zu werden, deshalb habe sie diesen Roman geschrieben, sagt sie.

Syrien versinkt in Krieg und Chaos

Olga Grjasnowa erzählt in ihrem Buch von zwei Menschen aus Syrien, Amal, eine erfolgreiche Schauspielerin, und Hammoudi, ein junger Mann, der gerade sein Medizinstudium abgeschlossen hat. Beide kommen aus dem abgesicherten Mittelstand. Doch dann passiert das unfassbare, die Welt der beiden bricht zusammen. Ihr Land versinkt in Chaos und Krieg. Davon erzählt die Autorin sehr anschaulich. "Wir haben im Internet einen Aufruf gestartet und Menschen gefragt, ob sie bereit wären, mir ihre Fluchtgeschichte zu erzählen", sagt die Autorin, "wie sie in Syrien, zum Beispiel, als Ärzte Kriegsopfer behandelt haben, und das habe ich dann benutzt." Ihr Roman beginnt in Damaskus, vor gut zehn Jahren. Grjasnowa erzählt vom Alltag dort, von den Problemen in Patchworkfamilien, vom Nachtleben in einer westlich geprägten Stadt. Das könnte auch Berlin oder Köln sein, gäbe es da nicht Assad und sein Terror-Regime. Die Jugendlichen sind es, die ganz friedlich für Reformen demonstrieren. "Und dann wird plötzlich auf die Menschen geschossen. Damit haben die Jugendlichen auch in Syrien nicht gerechnet", erzählt Grjasnowa. "Das Regime reagiert immer brutaler. Schulkinder wurden eingesperrt und gefoltert. Vollkommen willkürlich werden die Menschen verhaftet. Die Angehörigen wußten auch nicht, in welchen Gefängnissen ihre Verwandten sind."

Der Westen tut nichts

Als der Krieg ausbricht, fliehen die Menschen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, weil auch der Westen ihnen nicht hilft. Olga Grjasnowas Buch hat auch eine klare politische Aussage. ´Der Westen tut nach wie vor nichts´, schreibt sie. "Die Menschen in Syrien hatten riesengroße Hoffnung, dass ihnen geholfen wird, dass die damals noch friedliche Revolution unterstützt wird. Aber es passierte nichts – und das ist immer noch eines unserer größten Versagen", beklagt Grjasnowa. "Im Syrienkrieg sieht man eindeutig, dass es nicht um Menschlichkeit geht und dass ein Menschenleben nichts wert ist". Das erleben auch die Romanhelden Amal und Hammoudi. Sie fliehen über das Mittelmeer, ihr schiffbrüchiges Boot kentert, sie schaffen es zu überleben – bis sie nach Deutschland kommen. Olga Grjasnowa macht in ihrem Roman die Not und das Leid der Flüchtlinge anschaulich und zeigt uns auch, wie schnell wir Menschen aus unserer scheinbar sicheren, vertrauten Welt gerissen werden können und mitten im Krieg stehen. Mit Sorge und großem Unverständnis beobachtet sie, wie in Deutschland Parteien wie die AFD Politik mit der Flüchtlingskrise machen. "Auch dieses Argument, dass wir angeblich mit diesen Leuten reden sollen, um ihre Positionen nachzuvollziehen? – ich bin mir nicht sicher?", fragt Olga Grjasnowa, "denn ich kann das nicht verstehen. Diese Missachtung von anderen, diese Unmenschlichkeit - das geht mir nicht in den Kopf."


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