Heute Morgen sitze ich hier. Niemand war da, um geweckt zu werden. Der Große wird jetzt immer in Frankreich wach. Die nächsten Jahre, solange sein Studium dauern wird, jedenfalls.
Einstweilen setze ich mich in das leere Zimmer mit den in verschiedenen Blaus getönten Wänden. Tiefblau wie das Meer an den schmalen, hellblau wie der Himmel an den langen Seiten.
Mein Blick gleitet im Zimmer herum. Das Regal neben dem Schreibtisch erinnert mich an den Film "Was vom Tage übrig blieb", eine wundervolle Liebesgeschichte. Das Regal könnte den Titel:" Was von der Kindheit übrigblieb" tragen. Hoffentlich auch eine Liebesgeschichte!
Ganz oben die allerersten Bilderbücher, „Weißt Du wie lieb ich Dich habe?“, und oh, direkt daneben "Schreimutter". Immer noch werde ich rot bei der Erinnerung, wie laut ich, leider, so oft laut geworden bin. Wenigstens habe mich dann entschuldigt, wie die Schreimutter im Buch auch.
Darunter die Kinderbücher, der Michel aus Lönneberga usw., so schöne Vorlesestunden!, darunter Narnia und so, dann kommt schon Erwachsenenliteratur... wobei: überall sind Lücken.
Beim Umzug hat der Große einen ganzen Waschkorb gepackt: "Ich muss doch meine Bücher um mich haben." Marx musste unbedingt mit, der Herr der Ringe, Petterson und Findus und die Mumins auch. Ich stand um den Korb herum und dachte: wie eine Hausapotheke für alle Fälle.
Hinter mir an der Wand hängt eine goldene Weltkarte. Eine Erinnerung an die große Reise des Großen: mit dem Segelschiff in die Karibik und zurück. Was hat er sich diese Reise gewünscht! Und wie gut hat sie ihm getan. Ihm Aufwind für den Endspurt in der Schule gegeben. Ihn sicher gemacht, wo er im Leben hinwill: in die große weite Welt der internationalen Beziehungen.
Schon vor der Reise hat ihm die Ganzgroße ein Wandtatoo gemacht: einen Weißkopfadler. Damals schon spürte ich seine Sehnsucht. Nach Freiheit und Freisein.
Ich habe nie vergessen, was ich als junge Mutter von Khalil Gibran gelesen hatte: der über Kinder sagt: „Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen, denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.“
Jetzt ist das Kind in sein Morgen geflogen. Sein Adler bleibt noch ein bisschen bei mir.