Gwendolin, so heißt Susan Krellers Romanheldin, lebt in der Villa "Pirasol". Ihr Sohn ist verschollen, ihr Mann gestorben. Sie hat eine Mitbewohnerin in ihr Haus aufgenommen, doch die 15 Jahre jüngere Thea schikaniert und demütigt die alte Frau. Als ihr verschwundener Sohn in der Stadt gesehen wird, beginnt Gwendolin, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Die Autorin Susan Kreller hat für ihren Roman in einem Altersheim recherchiert. Sie wollte wissen, ob man sich mit 84 Jahren noch ändern kann? "Ich war da alle paar Wochen, habe mit den alten Damen Likör getrunken und den Frauen aus meinem Manuskript vorgelesen", erzählt Kreller. "Gleich am Anfang, als ich erzählt habe, dass es in dem Roman um eine Frau geht, die sich endlich in hohem Alter wehrt, da haben ganz viele gesagt, ja – genau, genau wie ich, und das haben viele auch genauso empfunden."
Nach der Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit
Gwendolin blickt auf ihr Leben zurück. Zunächst ist da die heile Welt ihrer Kindheit. Bis zum 13. Lebensjahr ist alles gut. Gwendolin erfährt die Liebe und Geborgenheit ihrer Eltern. "Sie hatte vielleicht die glücklichste Kindheit, die man sich vorstellen kann, mit ganz wunderbaren Eltern", erzählt Susan Kreller. "Es gibt da einen Gedanken, der mir sehr gut gefallen hat und zwar: Eine glückliche Kindheit kann einen Menschen immer beschützen, auch wenn das Leben danach ganz furchtbar ist. Und diese glückliche Kindheit kann vielleicht irgendwann noch einmal dafür sorgen, dass dieser Mensch sich erhebt und doch noch einmal glücklich wird." Mit 13 Jahren wird Gwendolin aus dem Paradies ihrer Kindheit vertrieben. Die Nazis verschleppen ihren Vater. Ihre Mutter stirbt bei einem Bombenangriff. Das Kind verliert seine Eltern, seine Heimat, es steht ganz allein da. In der Fremde heiratet sie später den Papierfabrikanten Willem und zieht in dessen Villa mit dem Namen Pirasol. Doch der Ehemann quält sie, demütigt sie und vertreibt den geliebten Sohn aus dem Elternhaus. Die Mutter Gwendolin ist zu schwach, um ihren Sohn vor dem wütenden Vater zu beschützen. "Sie schafft es einfach nicht", sagt Susan Kreller, "ich glaube, es gibt sehr viele Menschen, die es nicht schaffen, weil sie einfach so sehr in den Strukturen gefangen sind." Der Sohn flieht. Doch dann taucht er nach vielen Jahren plötzlich wieder auf. Jedenfalls ist er in der Stadt gesehen worden. Gwendolin ist inzwischen 84 Jahre alt. Ihr Mann ist gestorben, sie lebt mit Thea in der Villa Pirasol. "Die Geschichte beginnt damit, dass ihr verschollener Sohn angeblich in der Stadt gesehen wurde", sagt die Autorin. "Das bringt einiges in Bewegung – vor allem sie selbst."
Das Kruzifix darf bleiben
Und dann passiert es, wie ein Wunder, Gwendolin gelingt es, sich zu wehren. Ganz praktisch geschieht das, indem die ihre Hausdame Thea, die sie so sehr drangsaliert, vor die Tür setzt. Gwendolin, die vom Leben so sehr gedemütigt wurde, findet ins Leben zurück. "Sie schafft es zum ersten Mal, sich mit dem, was ihr im Leben passiert ist, auseinanderzusetzen und ihre Traurigkeit anzunehmen, nicht aus dem Leben zu verbannen, sondern wirklich anzunehmen und als Teil ihres Lebens zu akzeptieren," erklärt Susan Kreller. "Es geht in dem Buch auch nicht um Heilung, sondern es geht um Trost, es geht um das Gefühl des Getröstetseins."
Die Autorin erzählt in ihrem Roman auch eine moderne Hiob Geschichte. Gwendolin wird von allen guten Geistern verlassen, sie droht von ihrem leidvollen Schicksal verschlungen zu werden, unterzugehen, und sie hadert mit Gott, sie verbannt das Kruzifix in den Keller. Doch am Ende versöhnt sie sich auch mit dem Heiland. "Der Jesus am Kreuz darf bleiben. Er scheint sie sogar anzulächeln, und sie hat fast ein zärtliches Gefühl für ihn," sagt die Autorin. Susan Kreller hat einen ergreifenden Roman über eine alte Frau geschrieben, die sich wehrt, eine Frau, die stellvertretend für eine Generation steht, die durch den Nationalsozialismus und den zweiten Weltkrieg ihre Kindheit verloren hat und erst spät erkennt, wie notwendig es ist, sich mit diesem Verlust auseinanderzusetzen.