Professor Detering ist auch deswegen von der Bibel so begeistert, weil die Welt in den Texten sehr vielschichtig und komplex dargestellt ist. Wer nach Lektüre der Bibel als Fundamentalist auftrete, der habe die Bibel nicht ernsthaft gelesen, sagt Detering, "denn die großen Menschheitsfragen, die Fragen nach Gott und der Welt werden in diesem heiligen Buch auf ganz unterschiedliche Weise beantwortet, nicht nur mit unterschiedlichen Versionen, sondern so, dass die Widersprüche geradezu aufeinanderprallen".
Und genau das mache die Texte der Bibel so spannend und auch so lebendig und aktuell. "Wer sich an diese Texte halten will, muss ihre Widersprüche austragen, muss mit ihnen leben, muss in die Diskussion eintreten."
Wobei in der Bibel die eigentliche Mitte, der Kern im Dunkeln bleibt. Diese ausstrahlende Mitte, die das Göttliche ist. "Unterschiedliche Lichtstrahlen gehen von ihr aus, von dieser Mitte", sagt Detering, " aber ihre eigentliche Beschaffenheit bleibt für alle, die darüber schreiben, auch noch für den Apostel Paulus, der dogmatisch argumentiert, immer ein Mysterium. Das mögen die Fundamentalisten der unterschiedlichen Schattierungen nicht gern hören, aber so steht es in der vielleicht gerade darum heiligen Schrift."
Detering - ein Konvertit ohne Eifer
Heinrich Detering ist evangelisch aufgewachsen, er hat auch protestantische Theologie studiert. Doch dann ist er zur katholischen Kirche übergetreten. Er sei ein Konvertit ohne Eifer, sagt er. "Es hat mir immer eingeleuchtet, dass eine Kirche existiert, die sich mit ihrer Selbstbezeichnung katholisch als weltumspannend auffasst, damit aber auch der Vielstimmigkeit der Kulturen, der Menschenheitsepochen, der verschiedenen Traditionen bewusst und souverän großen Raum einräumt".
Das habe ihm ebenso zugesagt, wie das Reden in religiösen Bildern, in Gleichnissen, in poetischen Texten. Das neben der rational organisierten Dogmatik bestehe – immer in einem produktiven Spannungsverhältnis für beide Seiten. "Das hat in den katholischen Überlieferungen einen besonders reichen Raum. Auch das hat mich immer angezogen", sagt Detering. Wenn er in einem Satz beantworten müsse, warum er katholisch geworden sei, dann würde er auf die Eucharistiefeier verweisen.
Den Professor für Literaturwissenschaften überzeugte das Mysterium der katholischen Eucharistiefeier, das den Wesenskern der katholischen Kirche ausmacht. Am meisten eingeleuchtet von allem typisch katholischen habe ihm, "dass im Zentrum der religiösen Praktiken ein Mysterium steht, das als Mysterium gefeiert wird, und nicht mehr übersetzt werden muss in eine andere begriffliche Sprache oder in eine Erklärung – oder so etwas, dass eine in mancher Hinsicht auch archaische Opferhandlung, in der Gott selbst sich opfert, damit ein Ende aller Opfer, aller menschlichen Opfer sei, dass das als göttliches Geschehen wieder und wieder in jeder Messfeier vergegenwärtigt wird".
Die Kirche ist eine poetisch organisierte Welt
Die Beziehung zwischen Poesie und Kirche ist für den Literaturwissenschaftler offensichtlich. Schließlich sei die Kirche nicht nur eine Tochter einer langen Reihe von Glaubensbekenntnissen, sondern auch einer langen Reihe von Dichtungen, sagt er und: "Die Bibel ist nicht ausschließlich Dichtung, aber sie ist voll davon. Die Kirchengeschichte ist voll von Texten poetischer Natur. Die heilige Messe ist selbst Sakraltheater in einem denkbar sakralen Sinn – aber eben auch Theater. Wer in der Kirche bewusst lebt, lebt schon in einer poetisch organisierten Welt.