Um meinen Laptop liegen USB-Sticks, Chipkarten von verschiedenen Fotoapparaten und mobile Festplatten. Auf allen Speichermedien schlummern Fotos aus dem zu Ende gehenden Jahr.
Drum herum stapelt sich die Arbeit, blinken ungeduldig rote Ausrufezeichen aus meinem Emailaccount. Entmutigt stehe ich auf, hole mir erst mal einen Tee in der Küche. Treffe auf meinen Mann. "Muss denn der Jahreskalender auch noch sein?“, fragt er.
Im letzten Jahr hat es eine Panne in dem Drogeriemarkt gegeben, in denen ich die Kalender drucken lasse. Tausendmal haben die Angestellten sich entschuldigt - aber zum ersten Mal nach bald zwanzig Jahren gab es den Jahreskalender erst nach Weihnachten. Da das schon eine Enttäuschung war, ist kein Kalender keine Option.
So trage ich den Tee zum Schreibtisch zurück, mache mich an die Arbeit. In der letzten Januar vorsorglich angelegten Datei "Kalenderfotos 2017" finde ich: nichts. Übers Jahr habe ich mir nie Zeit genommen, die Bilder unter dem Jahr schnell dorthin zu kopieren. Jetzt muss ich sie mir mühsam zusammen suchen.
Ich seufze. Doch über der lästigen Sucherei merke ich: sie kostet mich zwar hart umkämpfte Zeit, Ja. Aber währenddessen stoße ich auf so viele, längst vergessene Momente: Der meist schweigsame Jüngste redet strahlend auf meinen Patensohn, einen jungen Studenten ein, der ihn zugewandt anschaut. Ich finde ausgelassene Gruppenfotos am Ende des Urlaubes. Und eine kleine, lilafarbene Blume: fünf herzförmige Blätter, ein runder, perfekter Regentropfen in der Mitte. In dem, klingt kitschig, war aber so, sich die Sonne spiegelt.
Ich rieche den Regen, fühle die Sonne. Die kleine Blume in meinem Laptop erinnert mich: Ja, im letzten Jahre gab es viele Tränen. Z.B. in den Wochen, als eine Freundin im Hospiz starb. Aber es gab nicht nur den Regen. Die Sonne war auch da.
Hoffentlich freuen sich meine Lieben auch dieses Jahr über das Kalendergeschenk. Aber ganz eigentlich beschenken sie mich: niemals hätte ich ohne ihre Freude noch mal in allen Fotos des Jahres gesucht, niemals all die leuchtenden Momente gefunden. Ich staune: Das Jahr war so viel heller, als ich dachte.
Als ich den Fotoauftrag schließlich abschicke, habe ich mir selber das größte Geschenk gemacht, mir Dankbarkeit zum Blättern beschert.