Die Hintergrundfolie für die Ereignisse der Karwoche vor bald 2000 Jahren in Jerusalem ist das jüdische Pessach-Fest, das seinen Ursprung im Auszug aus Ägypten hat. Dieses Ereignis ist für das Judentum existenziell, weiß auch Dr. Gunther Fleischer von der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule in Köln. "Es geht um den Wechsel vom Sklavendasein zu einem freien Dasein; letztlich um den Wechsel vom Tod, den man in Ägypten erfahren hat, zum Leben." Diese Zuwendung Gottes zu seinem Volk verdanke es sich weder selbst, noch gebe es einen Grund dafür. Das alles habe Gott für sein Volk aus unergründlicher Liebe getan.
Der Auszug aus Ägypten ist vor allem im Buch Exodus beschrieben. Hier werden die Ereignisse als eine Flucht beschrieben. Erst im Zusammenhang mit den anderen Büchern des Pentateuch erscheint der Auszug als eine Heimkehrgeschichte. "Das ist aber nicht die Sicht der Flüchtenden aus Ägypten, sondern das ist das Autoren- und Leserwissen", gibt Fleischer zu bedenken. Der Beginn des Exodus ist einmal von der schwankenden Laune des Pharaos geprägt, der die Israeliten mal ziehen lassen will, ihnen dann aber doch nachjagt, weil ihm Gott das Herz verhärtet hat, so dass dies auch Teil des göttlichen Plans ist. Die andere Prägung ist die Stimmung im Volk Israel selbst, das mal zuversichtlich auf dem Weg ist und dann wieder von Zweifeln geplagt wird, ob die Entscheidung, aus Ägypten zu fliehen, wirklich die richtige war. "Im Grunde ist das nichts anderes, als was wir im Neuen Testament lesen, wenn Petrus auf das Wort Jesu hin über das Wasser geht. Und dann geht er. Und dann kriegt er aber Angst und schreit 'Herr, rette mich!', weil er untergeht." Biblisch bedeute dies, dass das ursprüngliche Gottvertrauen plötzlich nachlasse. Es gehe darum zu ermutigen, auch in den schwierigsten Situationen dieses Gottvertrauen zu behalten.
Mose hat es nicht leicht mit den Israeliten, die immer wieder gegen ihn ausbegehrte, wenn die Lage aussichtslos erschien. So auch in Refidim, wo das Volk Durst bekommt und murrt. "Eigentlich wird vorausgesetzt, wenn das Volk weiß, dass Gott selbst es auf diesen Weg geschickt hat, dann kann es auch davon ausgehen, dass es versorgt wird. Sie misstrauen aber diesem Gott", erklärt Gunther Fleischer das Verhalten der Israeliten. Deshalb sei schon das erste Ausbleiben des Wassers Anlass zum Murren. "Das war aber genau die Probe: Wie lange halten sie es aus, in der schwierigen Zeit dennoch darauf zu vertrauen, dass ich, Gott, sie auf dem Weg nicht verlassen werde, auf den ich sie selbst geschickt habe." Beim nun folgenden Wasserwunder von Meriba gehe es schließlich weniger um die Durchbrechung von Naturgesetzen, sondern darum, dass unerwartet, letztlich auch nicht wirklich machbar, aber genau zum richtigen Zeitpunkt etwas Heilvolles passiert. Das meint biblisch "Wunder", jedenfalls im Alten Testament. Die Nennung von Ort und Namen ist dagegen eine Codierung, so dass schon bei der Nennung von "Meriba" und "Massa" jeder weiß, worum es geht. Beispielhaft hierfür ist der 95. Psalm.
Am Berg Sinai kommt es schließlich zur Ankündigung des Bundesschlusses. Dass dies zusätzlich zur Verheißung, die Gott bereits Abraham gegeben hat, erfolgt, hänge mit den zwei Ursprungsgeschichten Israels zusammen, erklärt Dr. Fleischer diese scheinbare Doppelung. "Wir haben eine Ursprungsgeschichte, die über die Vätergestalten wie Abraham, Isaak und so weiter funktioniert. Und wir haben die Ursprungsgeschichte, die erzählt, dass ein Volk aus Ägypten in das verheißene Land Kanaan einzieht." Diese beiden ursprünglich wahrscheinlich getrennten Geschichten werden durch die Josefsgeschichte miteinander verbunden, wo erzählt wird, wie denn die Nachfahren des Abraham nach Ägypten gekommen sind, womit der Exodus zu einer Heimkehrgeschichte wird. Doch der gute Vorsatz der Israeliten am Sinai hält nicht lange an, sondern mündet schließlich in den Tanz um das goldene Kalb.
Das Land, das den Israeliten verheißen ist, wird im Buch Numeri so beschrieben, dass in ihm Milch und Honig fließen. Doch was an diesem Land stört, das sind seine aktuellen Bewohner, und es herrscht Skepsis, ob diese bezwungen werden können. Bibel-Experte Fleischer warnt jedoch davor, hier unsere modernen Maßstäbe zur Beurteilung anzuwenden. "Die Frage der friedlichen Koexistenz ist eine moderne Sicht, hinter die ich keineswegs zurück möchte. Aber wir können sie nicht einfach als selbstverständlich voraussetzen für die damalige Zeit, sondern es geht viel stärker um die Frage der Identitätssicherung." Die Vermischung mit dem Fremden bedrohe die eigene Identität und würde letztendlich zur Auflösung der eigenen Volksgemeinschaft führen. "Das sind Sichtweisen, die man heute nicht 1:1 übernehmen kann. Das kann nur helfen, warum man damals so formuliert hat", erklärt Fleischer die kriegerischen Absichten der Israeliten. Woher allerdings die Skepsis stammt, ob die im verheißenen Land bereits wohnenden Völker bezwungen werden können, da sieht der Exeget einen sehr aktuellen Bezug. Wer die Kundschaftergeschichte genau lese, merke deren Zweigleisigkeit. Da gebe es einmal die Berichte voller Begeisterung und dann die voller Skepsis und negativen Übertreibungen. "Es gibt nicht den objektiven Bericht, sondern nur den subjektiven: Die Einen, die sagen, es lohnt sich, in das Land zu gehen. Wir trauen der Verheißung. Und die Anderen sagen: Verheißung hin, Verheißung her. Das Land ist Mist, das ist viel zu fremd und das ist nichts für euch. Und Erfahrung der Geschichte: Die Angstmacher gewinnen."
Zu besprechende Texte:
- Ex 13,17-22 + 14,9-14
- Ex 17,1-7
- Ex 19,1-9
- Num 13,21 - 14,2