Wenn es um Fluchtszenarien im österlichen Kontext geht, dann geht es hier um Flucht, Vertreibung und Migration im übertragenen Sinn. Allerdings erzählt das älteste der vier Evangelien, das des Evangelisten Markus, die Auferstehung Jesu als ein Fluchtereignis. Nachdem der Engel den Frauen am Grab von den Ereignissen der vergangenen Nacht erzählt und ihnen aufgetragen hatte, dies auch den Jüngern mitzuteilen, verließen sie das Grab und flohen, weil Schrecken und Entsetzen sie gepackt hatte. Dieser etwas verstörend wirkende vorläufige Abschluss der Ostergeschichte im Markusevangelium fehlt in der Osternacht, und dies aus gutem Grund, weiß Dr. Gunther Fleischer von der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule in Köln. "Das originale Markusevangelium endet damit, dass die Frauen stumm und voller Entsetzen vom Grab weglaufen. Offensichtlich gibt es aber schon sehr früh Überlieferungen des Markusevangeliums, die sagen: So kann doch ein Evangelium nicht aufhören, so kann man nicht von Ostern erzählen." So habe man aus den anderen Evangelien Elemente übernommen und daraus schließlich eine traditionelleren Osterschluss gebastelt, der nun am Ende des Markusevangeliums steht. Doch was Markus zum Ausdruck bringen wollte, das sei die Irritation der Frauen darüber, dass der Tod nicht mehr das Ende sondern die Pforte zum Leben ist, erklärt Fleischer den mutmaßlichen Urtext.
Als Maler unter den Evangelisten gilt Lukas, der in seinem Doppelwerk (Evangelium und Apostelgeschichte) mit seiner Erzählweise Bilder entwirft. "Dabei spielt der Perspektivwechsel eine ganz wichtige Rolle", lenkt Gunther Fleischer den Blick von der Oster- zur Himmelfahrtserzählung, die bei Lukas in beiden Werken auftaucht. Während in der Weihnachtsgeschichte der Blick vom Römischen Reich und Kaiser Augustus quasi mit der Lupe auf den kleinen Ort Betlehem gelenkt wird, schauen die Jünger nach der Himmelfahrt Christi nach oben in den Himmel, um dann von den Engeln zu hören zu bekommen, dass von dort nichts zu erwarten sei. "Das eigentliche Geschehen spielt hier auf der Erde. Hier müsst ihr euch bewähren, hier gilt es zu handeln. So kann Lukas mit diesem Perspektivwechsel seine Missionsgeschichte, das Wachstum der frühen Kirche, erzählen kann."
Diese Missionsgeschichte enthält aber auch neben mancher Erfolgsmeldung tumulthafte Szenen, wie zum Beispiel in Ephesus, wo ein Silberschmied namens Demetrius sein heidnisches Devotionaliengeschäft durch die neue Lehre bedroht sieht und daher seine Kollegen gegen Paulus und dessen Anhänger aufrührt. Diese selbstverständliche Reaktion soll aber auch aufzeigen, vor welchen Problemen das frühe Christentum stand, erläutert Fleischer. "Man lebt als Minderheit in einer fremden Kultur. Und mit dieser neuen Religion stört man nicht nur religiöse Kreise, sondern man macht auch denjenigen, die von der Herstellung von Götterfiguren lebten, das Geschäft kaputt." Der wichtigste Ort in Ephesus war der Artemis-Tempel der zu den Sieben Weltwundern zählte und mit einer sehr großen Statue der Göttin Artemis ausgestattet war. Die damit zusammenhängenden Kulte sollten das Volk an den Kaiser binden und prägten das Leben in der Stadt. Dem stellten die frühen Christen etwas anderes entgegen: Ein bescheidener Glaube, der zwar einen großen Inhalt hat, aber äußerlich sehr armselig daherkommt.
Paulus wird durch den Aufruhr in Ephesus zumindest kurzzeitig an der Weiterreise gehindert. Sein Leben und Einsatz für die Mission wird durch ständiges Aufbrechen und Weiterreisen geprägt. Dabei sehnt er sich doch eigentlich danach, bei Christus zu sein. Dies schreibt er in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi. Doch ihretwegen sei es notwendiger, dass er am leben bleibe. "Wir merken, dass Paulus ein durchaus ambivalenter Mensch ist", erklärt Bibel-Experte Fleischer. Einerseits lebe er ganz im Hier und Jetzt und sei auch ganz wirklichkeitsnah unterwegs. Gleichzeitig sei er aber auch getrieben von seiner Sehnsucht, dem Herrn selbst zu begegnen. Dies sei kein Ausdruck von Depression, sondern von einer tiefen Erwartung. Diese Naherwartung, aus der heraus Paulus und viele andere der frühen Christen gelebt und gehandelt hätten, die sei uns zwar in Theologie und Theorie noch präsent. Zumindest könne man für die Kirche in Deutschland sagen, dass diese in ihrem Lebensgefühl eher hoffe, dass der Herr sich mit seiner Wiederkunft noch etwas Zeit lasse. "Wir haben uns eingerichtet und sind sesshaft geworden. Dieses Unterwegssein ist kein wirklich prägender Gedanke in unserer Kirche," räumt Dr. Fleischer ein. Er werde zwar immer wieder beschworen, aber das scheine mehr auf der begrifflichen Ebene stattzufinden. "Gefühlt sind wir eigentlich eher eine hier angekommene Kirche."
Zu besprechende Texte:
- Mk 16,1-8
- Apg 1,9-14
- Apg 19,21 - 20,1
- Phil 1,23-26