Mit großen Augen schaut Leyla auch aus dem Fenster des Cafés. Es ist Samstag. Ich nehme sie mit zum Wochenendeinkauf, danach trinken wir noch einen Kakao.
Und riesig waren Leylas Augen vor vier Wochen am Flughafen Düsseldorf. "I need ten years to believe", sagt Leyla, nachdem sie aus der Tür in die Ankunftshalle getreten und ihren Geschwistern in die Arme gefallen ist. "Ich werde zehn Jahre brauchen, um zu begreifen, was hier gerade passiert."
Kein Wunder: zwei Jahre, fünf Monate und zehn Tage war die Familie getrennt. Drei Geschwistern war die Flucht nach Deutschland vor dem Krieg in Syrien gelungen, Leyla war mit ihrer Mutter Saahra in Aleppo zurückgeblieben: Saahra ist gehbehindert, hätte gar nicht ins Schlauchboot klettern können.
Für einen Moment ist alles, was war vergessen: die Bomben und das Blut. Die Ängste und die Verzweiflung. Das vom Krieg eingekesselt sein, ohne Strom, ohne Wasser. Die Flucht und das von Schleusern getrennt werden. Für einen Moment sind da nur Arme und Wiedersehen. Und Glück.Wiedersehensglück.
Mit Aisha, Basima und Mohammed. 12, 19 und 20 Jahre alt waren sie bei ihrer Flucht. Seitdem bauen sie in Deutschland an einem neuen Leben. Haben Deutsch gelernt und legen gerade die sogenannte C1- Prüfung, das ist muttersprachliches Niveau, ab. Kennen die Wege zum Jobcenter und zum Ausländeramt, wissen wo die Busse fahren und wo sie in der nächsten Stadt arabische Gewürze bekommen.
Leyla und Saahra steht all das noch bevor. Mühsam nur kann Saahra gehen. Ein befreundeter Arzt, der sie anschaut, bevor sie eine Krankenkassenkarte, weiß nicht, ob ihre Knie zu retten sind. Eine befreundete Physiotherapeutin zeigt ihr erste Übungen. Und eine befreundete Lehrerin für DaZ, Deutsch als Zweitsprache, bringt hunderte Wortkarten.
Das neue Leben muss anfangen. Und das verpasste nachgeholt werden.
Die zwölfjährige Aisha z.B. ging ihrer Mutter gerade bis zur Brust vor der Flucht. Heute muss die Mutter zu Aisha hochschauen: aus dem kleinen ist ein junges Mädchen geworden. Nachts schläft Aisha jetzt bei Saahra. Damit sie immer, wenn sie wach wird, schnell mit der Hand fühlen kann, ob ihre Mama immer noch da ist.
Langsam, langsam kann so wie Entspannung einsetzen. Ich freue mich für die fünf. Sehr.
Und wünsche inständig, dass dieses Wiederfindungsglück mehr Familien zu teil würde.