Was ist deutsche Heimat? Gehört der Islam zu Deutschland? Das sind Fragen, die zurzeit heftig diskutiert werden. Karosh Taha ist eine junge Autorin, die mit ihrer kurdischen Familie aus dem Nordirak nach Deutschland gekommen ist. Im Gespräch mit DOMRADIO.DE kritisiert sie, dass diese Fragen mit der Wirklichkeit und mit den Problemen der Flüchtlingsfamilien kaum etwas zu tun haben.
Der Islam spielt im Umfeld ihres Debut-Romans "Beschreibung einer Krabbenwanderung" über eine Familie aus dem Nordirak nur eine geringe Rolle. "Erst durch die politischen und gesellschaftlichen Diskussionen über den Islam werde die Religion in den Migrantenfamilien immer dominanter", stellt die Autorin fest, "im Alltag der Familien spielt der Glaube sonst keine große Rolle. Der Islam ist im Hintergrund da, aber streng praktizieren auch meine Romanfiguren ihre Religion nicht". Ähnlich weit weg von der Alltagsrealität der Menschen seien die emotional aufgeladenen Diskussionen um den Begriff Heimat. "Wer denkt schon im Alltag über Heimat nach?", fragt Karosh Taha. "Der normale Mensch fragt sich doch eher, wo kann ich zuhause sein? Wo fühle ich mich wohl? In normalen Gesprächen taucht der Heimatbegriff doch gar nicht auf".
Die Mutter - zur Salzsäule erstarrt
Sanaa heißt die 22jährige Studentin, deren Leben Karosh Taha in ihrem Roman schildert. Mit ihrer kleinen Schwester und ihren Eltern lebt sie in einer trostlosen Hochhaussiedlung. Die Familie kommt aus dem Nordirak. Der Vater war es, der unbedingt fort wollte. Er träumte von einem glücklichen Leben im freien Paradies Europa. Vor allem wollte er vor der Enge seiner kurdischen Familie fliehen. "Der Vater wollte sich aus den Fängen seiner Mutter befreien", erzählt die Autorin, "die Mutter hatte seine Brüder auf ihn angesetzt, dass er auf jeden Fall im Irak bleibt". Die Flucht nach Europa gelingt. An seiner Seite, eher ungewollt, seine Ehefrau, die viel lieber im Irak geblieben wäre und in Deutschland zur Salzsäule erstarrt. Für den Vater erfüllt sich der Traum von Europa nicht. Er kann aber auch nicht zurück. Die Mutter ist depressiv. Dazwischen steht meine Romanheldin Sanaa, die sich um ihre Eltern kümmert und so einsam fühlt wie eine einsame Krabbe, die auf einer Krabbenwanderung verloren gegangen ist. "Sanaa fühlt sich verloren und von den Eltern alleingelassen", beschreibt die Autorin das Gefühlsleben ihrer Romanheldin.
Gefangen zwischen den Kulturen
Isoliert leben die Flüchtlinge in einem tristen Hochhaus, ganz unter sich. "Vielen jungen Migranten geht es wie meiner Romanheldin Sanaa", sagt Karosh Taha, "die sind gefangen zwischen zwei Kulturen und bekommen von keiner die Hand gereicht. Es gibt keine positiven Vorbilder, deswegen wissen die jungen Leute auch nicht, wohin sie gehen sollen. Sanaa versucht zwischen diesen Welten ihren eigenen Weg zu gehen".
Einfühlsam erzählt Karosh Taha von der Zerrissenheit und Einsamkeit der jungen Sanaa. Der Leser erfährt, dass hinter jeder Auswandererfamilie ein eigenes Schicksal steht und das gilt es, so anstrengend das auch sein mag, genau anzuschauen und zu verstehen. "Literatur ist doch dafür da, dass Menschen ihre Perspektive erweitern und sehen, wie andere Menschen hinter ihren vier Wänden leben, um andere Menschen zu begreifen", sagt die Autorin. "Es geht doch nicht nur darum zu fragen, warum passen sie sich nicht an? Das ist ja ohnehin paradox, weil wir im Zeitalter des Individualismus leben, und trotzdem fordern wir von den anderen, sich anzupassen – und dann ist da die Frage, woran denn anpassen? Ich hoffe, dass mein Roman da eine Perspektiverweiterung bietet".