Lukas Hartmann über einen Liebesskandal im 19. Jahrhundert

Ein Bild von Lydia

In seinem Roman ´Effi Briest´ erzählt Fontane die Geschichte einer Frau, die verheiratet ist und sich in einen anderen Mann verliebt. Ende des 19. Jahrhunderts war das ein großer Skandal. ´Effi Briest´ hat eine reale Vorlage. Damals gab es einen Liebesskandal, der die Gesellschaft enorm beschäftigte. Dabei ging es um eine Affäre der verheirateten Tochter eines bekannten Schweizer Unternehmers. Der Autor Lukas Hartmann hat sich diesen Skandal genau angesehen.

Lukas Hartmann / © Bernard van Dierendonck (Diogenes)
Lukas Hartmann / © Bernard van Dierendonck ( Diogenes )

Lukas Hartmann erzählt in seinem Roman die Geschichte eines Skandals, der vor ca. 130 Jahren die Schweiz und auch die Zeitungen in Deutschland beschäftigte. Die reiche Tochter des Eisenbahnkönigs Alfred Escher, Lydia Welti-Escher, betrügt ihren Ehemann und flieht mit einem Künstler nach Rom. Diesen Skandal greift der Autor Lukas Hartmann in seinem neuen Roman ´Ein Bild von Lydia´ auf. "Mich hat daran der Zusammenhang fasziniert - zwischen Macht und Liebe, welchen Einfluss die Macht auf die Liebe haben kann, der Skandal, der daraus entsteht," erzählt Hartmann im DOMRADIO.DE Interview. "Spannend im Hintergrund dieser Gesichte ist auch der ganze gesellschaftliche Zustand, der sich gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark veränderte, weil viele Gewissheiten aufgebrochen wurden." Dabei geht es auch um die Rolle der Frau und um die Frage nach Freiheit und Selbstbestimmung.

Ein Leben in Pflichten und Zwängen

Lukas Hartmann erzählt die Skandalgeschichte um Lydia-Welti-Escher aus der Perspektive ihres Dienstmädchens Luise. Auch Luise hat es, so hat der Autor recherchiert, wirklich gegeben. "Mich hat interessiert, wie dieses Mädchen von ganz unten in die völlig andere reiche Atmosphäre dieser Luxus-Villa gekommen ist und was dort mit dieser jungen Frau passiert ist," sagt der Autor. Luise beobachtet, wie ihre Dienstherrin sich in den Maler Karl Stauffer-Bern verliebt. Der Künstler war damals in bürgerlichen Kreisen sehr bekannt und wurde häufig ins Haus geholt, um Portraits anzufertigen. So sollte er auch Lydia Welti-Escher malen. "Bei diesen langen Portrait-Sitzungen begann es zwischen den beiden zu knistern", erzählt Hartmann, "dort geschah es dann, dass die Frau dem Mann verfiel – oder er ihr." Für die bürgerliche reiche Lydia, die sich in ihren gesellschaftlichen Pflichten und Zwängen gefangen fühlt, ist die Welt des Malers eine fast magisch anziehende Gegenwelt. "Er verkörperte für sie auch dieses leichtfüßige, sinnliche Leben. Das hat sie als eher sprödere Frau unheilvoll angezogen, so dass sie sich diesem Mann dann zuletzt mit Haut und Haaren auslieferte", sagt der Autor.

Lydia und der Maler brechen aus. Sie fliehen Hals über Kopf nach Rom. Doch ihr einflußreicher Ehemann verfolgt das Paar mit allen Mitteln. Er benutzt seinen poltisch-diplomatischen Einfluss, um den Maler in Rom verhaften zu lassen. "Er wurde unter dem Vorwurf verhafte, Lydia entführt, beraubt und vergewaltigt zu haben. Das ist unglaublich", staunt Hartmann noch heute. Aber damals ist das alles so nachweisbar passiert.

Lydia findet nicht zurück ins Leben

Der Maler Karl Stauffer-Bern nimmt sich wenig später das Leben. "Die Monate Kerkerhaft in einem engen Raum mit 25 anderen Gefangenen zusammen haben Stauffer-Bern gebrochen", sagt Hartmann. Und auch Lydia findet nicht zurück ins Leben. Nachdem ihr Ehemann sie in Rom in eine Irrenanstalt stecken ließ, kommt sie frei und zurück in die Schweiz. Doch sie wird depressiv und begeht wie ihr Geliebter Selbstmord.

Lukas Hartmann erzählt diese wahre Geschichte in einem packenden Roman. Der Skandal um Lydia Welti-Escher wurde damals übrigens in Deutschland und der Schweiz ganz unterschiedlich aufgenommen. "In Deutschland wurde eigentlich immer zugunsten von Lydia darüber berichtet. Sie wurde dafür bestraft, dass sie diese Liebe suchte, die sie nicht hatte", erzählt Hartmann, "und die Schweizer Zeitungen sind damals alle gegen sie gewesen. Dieser Gegensatz ist auch spannend."


Quelle:
DR