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"Tochter Zion" summt Anna noch vor sich hin, als die 14-Jährige aus Ehrenfeld am Ausgang als Friedenssymbol einen Olivenzweig überreicht bekommt. Er soll sie daran erinnern, dass jeder – an seinem Platz – zum Friedensträger werden kann. Und auch ihre Mutter Karin hat – wie einen Ohrwurm – noch das letzte Lied auf den Lippen, als die beiden fröhlich untergehakt den Dom verlassen. So geht es vielen an diesem Nachmittag des zweiten Adventssonntags. Denn das traditionelle Adventmitspielkonzert mit der Kölner Kult-Band "Höhner" und etwa 1500 Instrumentalisten aus allen Teilen des Erzbistums Köln hat einen ganz eigenen Charme, wenn es darum geht, sich auf das bevorstehende Weihnachtsfest einstimmen zu lassen. Es ist die besondere Mischung aus Gänsehautfeeling, feierlicher Andacht, Besinnung und viel Freude an Musik, für die in jedem Jahr neu dieses in seiner Art einmalige Konzert im Kölner Dom steht. Schließlich verwandelt es Kölns Wahrzeichen anderthalb Stunden lang in einen einzigen großen Resonanzraum für altvertraute Adventslieder mit einem Hauch von Pop und Reggae.
"Einfach toll", findet das Martin von Alemann. Der Zehnjährige singt sonst im Kölner Domchor. Aber bei diesem Projekt, für das er sich frühzeitig mit seiner Blockflöte angemeldet hat, macht er bereits zum dritten Mal mit. Auch seinen Platz in der ersten Reihe konnte er nur deshalb ergattern, weil er als einer der Ersten im Dom war und da noch eine große Auswahl bestand. Neben ihm sitzt Susanne Wimmer aus Neuss mit ihrem Cello. Wegen der Beinfreiheit, die die 42-Jährige Hobbymusikerin für ihr Instrument benötigt, hat auch sie es in die erste Reihe geschafft. Ihr gefällt die "lockere und doch weihnachtliche Atmosphäre" in der Kirche. "Außerdem", so sagt sie, "trifft man hier viele nette Leute. Alle haben gute Laune. Auch weil Musiker nun mal schnell untereinander in Kontakt kommen und sich einfach auf eine besondere Weise verstehen."
Noten aus dem Internet
Studentin Nora Hippe aus Bonn, die zum zweiten Mal am Mitspielkonzert teilnimmt, hat ihre Harfe im Gepäck – und Fingerhandschuhe gegen die eisigen Temperaturen im Dom. Denn beim Zupfen der Saiten sollen die Finger beweglich bleiben. Die Noten, die sie sich – wie alle Interessenten – vorab im Internet zum Üben heruntergeladen hat, weisen zwar nicht ausdrücklich eine Begleitstimme für ihr Instrument aus. Aber sie helfe sich mit den angegebenen Akkorden und improvisiere eben ein bisschen, berichtet die junge Frau munter. Da hat es Christian Pleitgen mit seiner Trompete schon leichter. Er kann die Melodiestimme spielen. Und dass er in der letzten Reihe im Mittelschiff steht, stört ihn auch nicht. Er ist eigens aus dem Westerwald angereist, wo er sonst mit Freund Markus Strüder, der ihn nach Köln begleitet hat, im Musikverein Bellingen spielt. Von der Idee des gemeinsamen Musizierens so vieler unterschiedlicher Menschen sind beide sichtlich angetan, so dass sie im nächsten Jahr ganz sicher wieder mit von der Partie sein werden, wie sie einvernehmlich erklären.
Das genau sei ja auch das Konzept dieser adventlichen Feier, unterstreicht Initiatorin Petra Dierkes und freut sich, dass auch die neunte Auflage dieses erfolgreichen Konzertprojektes so viele Menschen anspricht. "Alle sind eingeladen, mitzuspielen, mitzusingen, mitzubeten. Hier gibt es heute kein Publikum, nur Mitwirkende", sagt die Seelsorgeamtsleiterin im Erzbistum Köln, die die Liedauswahl immer vorab mit Janus Fröhlich, dem ehemaligen Schlagzeuger der "Höhner" bespricht. Trotz der zehn Stücke, zu denen Klassiker wie "Wir sagen euch an den lieben Advent" und "Oh Heiland reiß die Himmel auf" gehören, aber auch als Premieren eine kölsche Version des berühmten "Halleluja" von Leonard Cohen und der Kanon "Schweige und höre" gleich zu Beginn, setzt die Theologin darüber hinaus auf die sehr andächtigen und stillen Momente bei dieser Veranstaltung. Wie so viele Domereignisse in diesem Jahr knüpft auch dieses an das große Rahmenthema "Frieden" an und reiht sich ein in die zahlreichen Gedenkfeiern zur Beendigung des Ersten Weltkrieges.
Gottesdienst als Konzert
"Für mich ist dieses Konzert mit seinen unterschiedlichen Elementen auch ein Gottesdienst", betont sie. Ein von drei Kindern auf Deutsch, Russisch und Französisch vorgetragener Auszug aus der Bergpredigt soll das unterstreichen; später dann auch ein Friedensgebet und das syrische Wiegenlied, das der Flüchtling Massud Sulaiman aus Oberberg mit seiner Tambur singt. "Wir wollen heute im Dom viele verschiedenen Sprachen hören", erklärt Dierkes. "Denn Friede beginnt damit, dass wir aufeinander hören und einander zuhören."
Dass der Auftritt einer Kölner Band – und sei es auf den Altarstufen des Kölner Domes – früher oder später immer im Schunkelrhythmus endet und gemeinschaftliches Unterhaken des Nachbarn zur Rechten oder Linken zusätzlich das Gefühl von Zusammengehörigkeit und einer stimmungsvollen Atmosphäre unterstützt, zeigen die vielen strahlenden Gesichter an diesem Dezembertag. Außerdem ist das ganz im Sinne von Janus Fröhlich, bei dem alle Fäden der musikalischen Koordination zusammenlaufen. Schon lange bevor um 15.15 Uhr das Adventskonzert bei Domradio, EWTN und bibel.tv auf Sendung geht, hat der einstige Drummer der Höhner mit den vielen Teilnehmern immer wieder die Übergänge der einzelnen Strophen geprobt und hilfreiche Hinweise gegeben, damit das Zusammenspiel so vieler unterschiedlicher Instrumente – von den Streichern über die E-Gitarren und Mundharmonika-Spielern bis hin zu den Banjos und Posaunen – auch harmoniert. "Es muss ein schwingendes, schwebendes Gefühl entstehen, als wenn man tanze", ruft er den vielen Musikern bei einem der Probendurchläufe des "Halleluja" entgegen. "Auf die Zählzeit achten, nun das Zwischenspiel und nur Mut", lautet sein Appell an anderer Stelle. "Jetzt Tutti – und alle mit Freude! Achtet auf mich: Ich helfe Euch!", so immer wieder die freundliche Ermunterung des Dirigenten, ohne dessen Kommando an diesem Nachmittag nichts ginge.
"Ach ja, und denkt daran, die Generalpause am Ende einzuhalten und den Dom alleine klingen zu lassen", mahnt der mit der außergewöhnlichen Akustik des Domes längst vertraute Klangmeister ein letztes Mal sein überdimensional großes Orchester. Und in der Tat: Beim dritten Anlauf gelingt, was ein letztes Mal bei den mehreren tausend Menschen für beseelte Ergriffenheit sorgt: Der finale Ton hallt sekundenlang in diesen jahrhundertealten Gewölben nach. Nach einem rundum gelungenen Musikerlebnis ist es die Stille, die das letzte Wort im Dom behalten soll!
Beatrice Tomasetti