Noch weiß niemand, wer Walter Lübcke ermordet hat. Aber die Generalbundesanwaltschaft ermittelt gegen ein seit Jahrzehnten polizeibekanntes NPD-Mitglied. Der seine DNA am Tatort ließ.
Ich will verstehen, was passiert ist, suche den Anfang der Geschichte. Am Anfang war ein Regierungspräsident, der sich im Oktober 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft den Sorgen und Nöten der Menschen annimmt. Später sagt er im Interview darüber:
„Ich wurde immer wieder durch Zwischenrufe wie „Scheiß Staat!“ unterbrochen. Ich wollte diese Zwischenrufer darauf hinweisen, dass in diesem Land für jeden und für jede, die diese Werte und die Konsequenzen aus unseren Werten so sehr ablehnen und verachten, die Freiheit besteht, es zu verlassen; im Gegensatz zu solchen Ländern, aus denen Menschen nach Deutschland fliehen, weil sie diese Freiheit dort nicht haben.“
Wörtlich gesagt hat Walter Lübcke in diesem Zusammenhang: "Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen".
Dieser Satz wurde ihm zum Verhängnis. Noch am gleichen Abend hat ein Besucher diesen Satz auf youtube hochgeladen. Sofort sammeln sich darunter widerwärtigere Kommentare. Und massive Drohungen.
Lübcke braucht Personenschutz bis der Shitstorm abflaut. Monate später wird das Video erneut gepostet. Einfach so. Unter anderem von Erika Steinbach, der ehemaligen CDU Bundestagsabgeordneten. Als Lübcke Anfang Juni ermordet wird, wird unter dem Video der Tote weiter beschimpft: „Verräter, gut, dass er weg ist“.
Ganz selten wird, mit dem Hinweis auf Nächstenliebe, widersprochen. Noch mehr Hass ist die Antwort:
„NÄCHSTENLIEBE? Es heißt nicht umsonst "Liebe deinen Nächsten" und nicht "Liebe jeden dahergelaufenen Fremden".
Das hier ist die WunderBar. Der Ort, an dem ich öffentlich wundere. Meist suche ich das Wunderbare, zu dem wir Menschen fähig sind. Heute wundere ich mich über die Fähigkeit von Menschen, Dinge, Werte so zu drehen, wie es ihnen passt. Und dabei so schrecklich zu pervertieren.
Denn heute ist Fronleichnam. Ein christliches Fest. Das natürlich für Nächstenliebe steht. Für was denn sonst?
„Unser Zusammenleben beruht auf christlichen Werten. Damit eng verbunden sind die Sorge, die Verantwortung und die Hilfe für Menschen in Not“ sagte Walter Lübcke.
Ich dachte, das wäre ein ganz normaler, ein christlicher Satz. Der Schock, wie sehr ich mich täusche, sitzt tief.
Es ist ein wunderbarer Satz. Für den ein Mensch mit seinem Leben bezahlt zu haben scheint.