Norbert Scheuer über seinen Roman 'Winterbienen'

Tanzende Sterne eines summenden Universums

Januar 1944: Über der Eifel kreisen britische und amerikanische Bomber. Der wegen seiner Epilepsie nicht wehrtaugliche Egidius Arimond schwebt in höchster Gefahr. Er bringt  jüdische Flüchtlinge in präparieten Bienenstöcken über die Grenze.

Norbert Scheuer / © Elvira Scheuer
Norbert Scheuer / © Elvira Scheuer

Norbert Scheuer kommt aus dem Städtchen Kall in der Eifel. Alle seine Romane spielen dort. Dabei destilliert Scheuer seine Romanwirklichkeiten aus den wahren Begebenheiten seiner Heimat. So fielen dem Autor Tagebuchaufzeichnungen eines Bienenzüchters in Kall aus dem Jahr 1944 in die Hände. Ganz lapidar, so erzählt Scheuer, habe der Mann in einer dieser Tagebuchaufzeichnungen geschrieben: 'Bienen und Feindflugzeuge sind über den Ort geflogen'. Dieser Satz sei für ihn das Setting für den Roman 'Winterbienen' gewesen, erzählt der Autor. "Und dann kam noch hinzu, dass die Eifelbauern jüdische Flüchtlinge über die belgische Grenze gebracht haben". Diese beiden Begebenheiten zu kombinieren, sei nicht mehr schwer gewesen, sagt Scheuer.

Der Krieg - ein gigantischer epileptischer Anfall

Der Roman "Winterbienen" ist ein Tagebuch – vom Winter 1944 bis zum Mai 1945 erzählt Egidius Arimond, wie er versucht, seine Bienen zu beschützen, über den Krieg zu bringen und gleichzeitig auch jüdische Flüchtlinge über die Grenze zu bringen, was natürlich bei den fortschreitenden Kriegshandlungen immer schwieriger und gefährlicher wird. Zudem leidet Egidius unter Epilepsie. Deswegen muss er auch nicht in den Krieg. Als ihm die Medikamente ausgehen, wird er von heftigen Anfällen geschüttelt und er droht wahnsinnig zu werden. "Wenn man einen epileptischen Anfall hat, vermengen sich Wirklichkeit und Phantasie", erklärt Scheuer, "man kann nicht unterscheiden. Und je länger die Anfälle dauern, umso wahnsinniger wird der Epileptiker. Der Krieg ist ja auch eine wahnsinnige Veranstaltung. Diese beiden Momente vermengen sich im Roman. Der Krieg entsteht im Gehirn von Egidius Arimond und außen. Und so wird das Ganze in der Absurdität noch einmal gesteigert". Norbert Scheuers Roman ist auch ein Antikriegsroman. Er zeigt, wie der Krieg in einem gigantischen epileptischen Anfall alles vernichtet.

Das Dröhnen der Bomber und das Summen der Bienen

Und dann blickt Norbert Scheuer weit zurück. Er läßt einen Vorfahren seines Bienenzüchters Egidius auftreten, Ambrosius Arimond heißt der. Dieser Ambrosius war ein Mönch, der in einem nahe gelegenen Kloster gelebt hat. Egidius Arimond findet Zettel und Schriften seines Vorfahren in der Stadtbibliothek und versucht, die Geschichte von Ambrosius zu rekonstruieren. So lernt der Bienenzüchter Egidius auch die Theologie des Heiligen Cusanus kennen, dessen Herz sein Vorfahre einst gerettet hat, auch davon erzählt der Roman.

Mit den Bienen in den Himmel fliegen

Mit faszinierender Leichtigkeit führt Norbert Scheuer die verschiedenen Handlungsstränge zusammen. Als Mittler zwischen den Welten öffnet sein Romanheld Egidius Arimond dem Leser Türen in unendliche Räume, Resonanzräume, in denen sich die Handlungsstränge verweben und verknüpfen: Das Dröhnen der Bomber und das Summen der Bienen, von denen schon die alten Ägypter glaubten, dass sie mit den Seelen der Verstorbenen in den Himmel fliegen. So träumt auch Egidius Arimond in dem Roman: 'Später liege ich auf der Wiese, sehe zu ihnen hinauf, körperlos, nur noch Geist, weil sie alle, jede Einzelne von ihnen, ein Stückchen von mir mit in den Himmel genommen haben. Ich bin gerettet'.

Am Ende wird Egidius durch eine Tellermiene getötet. Durch die Explosion des schweren Sprengkörpers wird er in Abertausende Partikel zerrissen. 'Schwärme von Bienen hatten angeblich gerade ihre Stöcke verlassen, sie erschienen wie tanzende Sterne eines summenden Universums'. "Das", so sagt Norbert Scheuer, "ist im Grunde auch angelegt in der Theologie des Cusanus, der sagt, dass das Eine in Allem ist. Man könnte es so interpretieren, dass am Ende der Geschichte Egidius in Allem aufgegangen ist".

Lesungen in Köln: 1.10. im Kölner Literaturhaus um 19 Uhr 30 / 13.11. Maternus Buchhandel Köln um 20 Uhr

 

 


Quelle:
DR