Wort des Bischofs

Eine neue Sprache finden

Angesichts all des Hasses in den sozialen Medien fordert der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki im Gegenüber einen "Tempel des Geistes Gottes" zu erkennen. Wie soll das gehen?

 (DR)

Ich habe es selbst erlebt, aber ich bin bei Weitem nicht der Einzige: Beschimpfungen im Netz von einer solchen Aggressivität, dass das nicht mehr unter dem zu netten Begriff „Trolle“ einzuordnen ist. Sondern Hate Speech, Hassrede. Nun könnten Sie in meinem Fall sagen: Ausgerechnet Du, Du beklagst Dich? Mag sein, aber hier geht es weit über mich hinaus. Ich hab den Eindruck, unsere ganze Gesellschaft driftet immer mehr auseinander. Hier die einen, dort die anderen. Dazwischen Gräben. Gräben, die mit jeder Hasstirade wieder tiefer werden. Gruppen, die sich immer fremder werden. Fast schon eigene Kulturen, die sich in ihrer Bubble abschotten und unter dem Radar der gesellschaftlichen Gemeinschaft fliegen. Aber wirklich miteinander reden? Dialog? Überwindung dieser Gräben? Fehlanzeige!

Wir als Christen, als Kirche sind davon nicht ausgenommen. Ein Post in einer hitzigen Diskussion mahnte neulich an: „Benehmt Euch wie Christen, nicht wie Henker!“ Schnell wird die eigene Spiritualität, Überzeugung oder Gewohnheit absolut gesetzt, wo es nicht sein müsste. Ich denke, dass nicht unterschieden wird zwischen dem, was uns von Gott her verbinden sollte, und dem, was legitime, unterschiedliche Wege zu Gott sind. Ja, es gibt unterschiedliche Wege zu Gott, natürlich. Das gilt es zu akzeptieren und nicht zu bekämpfen oder schlecht zu machen. Das ist so ganz anders als das Großartige, das an Pfingsten sichtbar wird: der Heilige Geist, die Feuerzungen auf den Glaubenden, das gegenseitige Verstehen. Denn der Heilige Geist lehrt uns, in allen Sprachen die Liebe Gottes empathisch und tolerant zu verkünden. Er hilft, Spannungen und Gegensätze, manchmal sogar Widersprüche auszuhalten und trotzdem im Dialog zu bleiben. Er hilft Ihnen, er hilft mir, er hilft allen. Seit dem Anfang der Kirche ist uns der Heilige Geist in diesem Sinne Gabe und Aufgabe zugleich. In der heutigen Zeit mehr denn je. Es ist die Aufgabe, eine neue Sprache miteinander zu finden, durch die wir einander wirklich hören und verstehen. Das ist nur möglich, wenn wir die gegenseitige Verachtung überwinden. Das ist nur möglich, wenn wir lernen auch im Gegenüber einen „Tempel des Geistes Gottes“ zu erkennen. Das ist nur möglich, wenn wir uns durch den Heiligen Geist, den Geist der Liebe und Versöhnung erneuern lassen.

Deshalb wünsche ich uns allen heute an Pfingsten, dass der Heilige Geist uns ergreift, wie er schon die Jünger vor 2000 Jahren an Pfingsten ergriffen hat.

Ihr
Rainer Woelki
Erzbischof von Köln