Die Erinnerung an den Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 ist noch immer frisch. Hinzu kommen antisemitische Vorfälle im Alltag, in der Corona-Pandemie schießen zudem Verschwörungsmythen ins Kraut. Es gab Höchststände bei erfassten antisemitisch motivierten Straftaten, deren Zahl 2020 um 15,7 Prozent auf 2.351 stieg. In diesem Umfeld findet die Bundestagswahl am 26. September statt.
Zugleich läuft aber auch das Festjahr zu "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Die Bundeswehr hat einen Militärbundesrabbiner, in Frankfurt entsteht eine Jüdische Akademie. Das Strafrecht wurde mit Blick auf Hass und Hetze verschärft, Bund und viele Länder haben Antisemitismusbeauftragte. Berlin zieht junge Juden aus Israel an.
Die zum Zentralrat gehörenden Gemeinden haben aktuell rund 95.000 Mitglieder. Hinzu kommen Juden, die keiner Gemeinde angehören. Seit 1989 wanderten Statistiken zufolge rund 200.000 Menschen jüdischer Abstammung aus der Ex-Sowjetunion nach Deutschland ein. Wie also positionieren sich die Parteien zur Förderung jüdischen Lebens und zum Kampf gegen Antisemitismus für die nächste Legislaturperiode? Es zeigt sich, dass die Mehrheit der Parteien weniger einzelne Aspekte jüdischen Lebens aufgreift, sondern den Fokus eher auf das Vorgehen gegen Judenfeindschaft legt, um für mehr Sicherheit zu sorgen.
"Spezialeinheiten der Polizei"
So will sich die Union etwa dafür einsetzen, "Spezialeinheiten der Polizei" zu schaffen, um ungeklärte schwere Straftaten auf neue Ermittlungsansätze zu prüfen. Judenhass müsse insgesamt klar benannt und bekämpft werden - unabhängig davon, aus welcher Richtung er komme. Was Hass und Hetze angeht, will die Union unter anderem, dass Ermittlungen in schweren Fällen möglicherweise auch ohne Strafanzeige eingeleitet werden können. Zudem solle es kostenlose Hilfsangebote für Betroffene geben. Bei der Rente sollen Kontingentflüchtlinge nicht länger benachteiligt werden.
Die SPD setzt im Vorgehen unter anderen gegen Antisemitismus auf eine konsequentere Erfassung und Ahndung von Straftaten und notiert: "Ein besserer Austausch und ein abgestimmtes Vorgehen, zum Beispiel durch die Schaffung einer Bund-Länder-Kommission, ist ein wichtiger Schritt." Auch wollen sich die Sozialdemokraten für europäische Regelungen einsetzen, um strafbare Online-Hassreden zu bekämpfen, sowie für einen Ausbau von "europäischen Frühwarnsystemen gegen Desinformationskampagnen". Stärker unterstützt werden sollen "kleine Initiativen und Gedenkorte" sowie mit Blick auf die geringer werdende Zahl an Zeitzeugen die Entwicklung neuer Formen der Gedenkkultur.
Die Grünen widmen sich in einem eigenen Unterkapitel der "Stärkung und Sicherheit" von Juden. Dort heißt es: "Jüdisches Leben in seiner Vielfalt in Deutschland werden wir konsequent fördern und sichtbar machen." Nichtjuden sollen mit Bildungsangeboten Wissen über jüdisches Leben sowie Begegnungen vermittelt werden. Um gegen das Problem der Altersarmut vorzugehen, will die Partei die soziale Absicherung älterer Juden, darunter Holocaustüberlebende, stärken.
Zuwanderer aus der Ex-Sowjetunion müssten bei der Rente zudem mit (Spät-)Aussiedlern gleichgestellt werden - darüber war zuletzt eine Fondslösung in der Abstimmung zwischen Bund und Ländern.
Altersarmut in den Blick nehmen
Beim Thema Sicherheit wollen sich die Grünen unter anderem für Leitlinien "für einen effektiven Schutz jüdischer Einrichtungen, bei deren Entwicklung die jüdischen Gemeinden einbezogen werden müssen", einsetzen. Es soll mehr Fortbildungen für Mitarbeiter von Gerichten, Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden geben sowie eine Regelfinanzierung für Präventionsprojekte etwa in Vereinen.
Auch die Linke nimmt die Altersarmut in den Blick: So sollen Kontingentflüchtlinge und Aussiedler, die bis 2012 in Rente gingen, aus dem "derzeit entstehenden Härtefallfonds" mindestens eine Einmalzahlung von jeweils 10.000 Euro pro Person erhalten, die nicht auf die Grundsicherung im Alter und andere Sozialleistungen angerechnet wird. Betroffene von antisemitisch motivierten Attacken müssten ausgeweitete Entschädigungsleistungen bekommen.
Die FDP fordert, dass Politik und Sicherheitsbehörden die "spezifische Gefährdung jüdischen Lebens" ernst nehmen müssten. Wenn es um Schutzmaßnahmen geht, müsse auf Sicherheitsbedenken der Gemeinden eingegangen werden. Ein weiterer Vorstoß: "Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar soll aufgewertet werden, indem wir eine bundesweite Schweigeminute am Vorbild des israelischen Jom haScho'a einführen."
Die AfD beschäftigt sich mit jüdischem Leben in einem Kapitel zum "Islam": Jüdisches Leben werde nicht nur von Rechtsextremisten, sondern "zunehmend auch von juden- und israelfeindlichen Muslimen" bedroht. Angriffe und Beleidigungen müssten konsequent strafrechtlich geahndet werden, der Al-Quds-Tag in Berlin solle verboten werden.