Auf dem Weg zur Generalaudienz, bei der Johannes Paul II. seine erste Sozialenzyklika vorstellen wollte, wurde er von Kugeln des türkischen Attentäters Ali Agca lebensbedrohlich getroffen. Der Papst überlebte, aber der Heilungsprozess verlief kompliziert.
Sein 100 Seiten umfassendes Schreiben "Laborem exercens" (Durch Arbeit) konnte er erst am 14. September veröffentlichen - nachdem er es nochmals überarbeitet hatte. Aber damit bekam es eine zusätzliche Aktualität in der beginnenden Phase des Umbruchs in Mittel- und Osteuropa, zu der der polnische Papst letztlich einen maßgeblichen Beitrag leistete - auch mit "Laborem exercens".
"Magna Charta der christlichen Sozialarbeit"
Eigentlicher Anlass für seine dritte Enzyklika war der 90. Jahrestag des ersten kirchlichen Sozialschreibens "Rerum novarum" durch Leo XIII. am 15. Mai 1891. Johannes Paul II. wollte diese "Magna Charta der christlichen Sozialarbeit" neu durchdenken und in die aktuelle Situation hinein fortschreiben. Sie inspiriere weiterhin das Wirken für Gerechtigkeit in der Kirche und der heutigen Welt, heißt es in der Audienzrede, die er nie gehalten hat, die aber veröffentlicht wurde.
Kirche muss "überall treue Hüterin der menschlichen Würde" sein, "die Mutter der Unterdrückten und Benachteiligten, die Kirche der Schwachen und der Armen", war die Botschaft der dritten Enzyklika.
Johannes Paul II. setzte damit die Linie seiner Lehrschreiben fort, in denen er den Einsatz für den Menschen, für seine heilige Würde und seine unveräußerlichen Rechte in den Mittelpunkt rückte.
Im Mittelpunkt von "Laborem exercens" stehen die Arbeit und die Person des arbeitenden Menschen; sie bildeten eine "fundamentale Dimension der menschlichen Existenz auf Erden". Anders als die früheren Sozial-Päpste war Johannes Paul II. selbst Arbeiter, er kannte die Arbeitswelt und die Sprache der Arbeiter aus persönlicher Erfahrung. Zudem wusste der frühere Krakauer Kardinal nicht nur um die sozialen Probleme der westlichen, der kapitalistischen Welt, sondern "vielleicht noch besser um die vermeintliche Lösung dieser Probleme in der sogenannten zweiten, vom Kommunismus beherrschten Welt", wie der Nestor der Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, kommentierte.
Mensch hat Vorrang vor dem Kapital
Arbeit ist eine Pflicht, ohne die der Mensch nicht leben und keine Kultur aufbauen kann, stellte der Papst klar. Sie ist ein Beitrag, den der Mensch seiner Familie schuldet, aber auch seiner Gesellschaft, der Nation und der Menschheitsfamilie. In der Arbeit verwirklicht sich der Menschen selbst, wird er "mehr Mensch". Sie dürfe daher nicht im Sinne des Kommunismus als "Ware", als Instrument oder als "Arbeitskraft" entwürdigt werden. Der Mensch habe stets Vorrang vor dem Kapital und den Mitteln. Das kommunistische System sei nicht in der Lage, den Vorrang des Menschen vor dem Instrument Kapital zu verwirklichen, kritisierte der Papst - der aber auch vor Verirrungen eines falschen Kapitalismus warnte.
Große Beachtung neben der Kritik am Kommunismus fand die Enzyklika mit ihren Aussagen zur Bedeutung von Gewerkschaften - die auch intellektuelle Arbeiter, Ärzte und Pfleger, Forscher und Führungskräfte einschließen müssten. Gewerkschaften sind ein "positiver Faktor", ein "unentbehrliches Element der sozialen Ordnung und der Solidarität", sagte er in Anspielung auf die polnische Solidarnosc. Dabei müsse den Gewerkschaften als Ultimatum für berechtigte Forderungen auch das Streikrecht garantiert werden, rief er gleichsam seinen polnischen Landsleuten zu.
Nicht die einzige Sozialenzyklika
"Laborem exercens" blieb nicht die einzige Sozialenzyklika des Wojtyla-Papstes. 1987 thematisierte er in "Sollicitudo rei socialis" weltweite Sozial- und Entwicklungsfragen, insbesondere den Nord-Süd-Konflikt. Und 1991, unmittelbar nach der Wende in Europa, rechnete er mit dem untergegangenen kommunistischen System ab.
Zugleich aber warnte er auch vor den Auswüchsen eines ungezügelten Kapitalismus gerade in den "befreiten" Ländern.
Das erste Sozialschreiben enthielt bereits manche prophetischen Ausblicke: Wenn der Papst vor den Gefahren einer unkontrollierbaren technischen Entwicklung warnte, in der Technik gleichsam zur Gegnerin des Menschen werde. Wenn er die "andauernde Gefahr eines Atomkriegs und die erschreckende Möglichkeit einer Selbstvernichtung" thematisierte. Oder wenn er sich gegen einen Fortschritt durch Raubbau, Vergeudung von Ressourcen und Verschmutzung der Natur wie auch der Biosphäre wandte.