DOMRADIO.DE: Aus welchen Zusammenhängen kennen Sie Annalena Baerbock?
Martin Vogel (Beauftragter der Evangelischen Kirchen bei den Ländern Berlin und Brandenburg): Annalena Baerbock lebt schon länger in Potsdam. Das ist meine Heimatstadt, in der ich auch zu Hause bin. Und Potsdam ist nicht so groß, man läuft sich einfach über den Weg am Samstag auf dem Markt oder eben am Rande von Veranstaltungen, öffentlichen Diskussionen.
Außerdem bin ich als evangelischer Pfarrer Länderbeauftragter. Das heißt, ich habe den Auftrag für die Evangelische Landeskirche in Berlin-Brandenburg, ins Gespräch mit Politikerinnen und Politikern und mit Verwaltungsmitarbeitern der Ministerien zu kommen, um nach guten Lösungen zu suchen für unsere Kirchengemeinden und für Anliegen, die die Gesellschaft beschäftigen. Da begegnet man sich.
Annalena Baerbock ist schon etwas länger im Landesverband Bündnis 90/DIE GRÜNEN in Brandenburg aktiv, auch da sind wir uns über den Weg gelaufen. Und sie hat ein Bundestagsmandat für den Wahlkreis Potsdam, der auf dem Gebiet unserer Landeskirche liegt. Da gibt es einfach hin und wieder Gesprächsbedarf.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie kennen sie aus unterschiedlichen Zusammenhängen und von diversen Begegnungen. Als was für einen Menschen haben Sie sie da erlebt?
Vogel: Ich habe im Frühjahr, noch bevor sie ihre Spitzenkandidatur bekannt gegeben hat, ein ausführliches Gespräch mit ihr zu verschiedenen Themen geführt, die unsere Kirchengemeinden in ihrem Wahlkreis beschäftigen. Und ich muss sagen, es macht Spaß, mit ihr die Sachen zu beraten.
Ich begegne da einer am offenen Dialog und Austausch interessierten Politikerin. Sie wirkte an diesem Tag auf mich trotz eigentlich ziemlich vollen Kalenders konzentriert und fokussiert. Wir hatten ein gutes Gespräch. Man kann mit ihr wunderbar Übereinstimmungen, aber auch Differenzen markieren. Also ist mein Bild von ihr erst einmal von Wertschätzung geprägt.
DOMRADIO.DE: Annalena Baerbock ist Mitglied der evangelischen Kirche. Sie sagt aber, dass sie “nicht gläubig” oder manchmal auch “nicht ganz gläubig” ist. Was wissen Sie darüber?
Vogel: Sie werden sicher verstehen, dass ich nicht aus vertraulichen Gesprächen berichten kann. Aber Frau Baerbock macht ja selbst kein Geheimnis daraus, dass sie Mitglied der evangelischen Kirche ist und dass sie gerne zu unserer Kirche gehört. Weil sie die Gemeinschaft, die dort gebildet wird, genauso schätzt wie das Engagement für gesellschaftliche und soziale Anliegen und das Miteinander von Jung und Alt, von Männern und Frauen.
Sie selbst hat aber meines Wissens zwei, drei Mal öffentlich gesagt, dass sie zwar Mitglied unserer Kirche ist, gleichzeitig aber Schwierigkeiten damit hat, für sich zu sagen, dass sie fest an Gott glaubt. Da muss ich wiederum sagen: Wir sind eine große Gemeinschaft von Menschen, die sehr unterschiedlich sind. Ich persönlich kann eigentlich sehr gut damit umgehen, dass Leute vielleicht auch einmal mehr Fragen als Antworten haben.
In meinen Augen ist der Weg dahin, so etwas wie ein Vertrauen auf Gott zu haben, eigentlich bei jedem ein lebenslanger Weg. Und vielleicht gibt es ja auch Menschen, die in unserer Kirche sind und sagen: “Ja, wir glauben atheistisch an Gott.” Warum eigentlich nicht?
DOMRADIO.DE: Christen sprechen ja von “Verantwortung für die Schöpfung” und “Bewahrung der Schöpfung”. Die Grünen und die grüne Kandidatin Annalena Baerbock nennen das dann eher “Klimaverantwortung” beziehungsweise “Umwelt und Naturschutz”. Im Kern ist da aber doch eine ziemlich große Schnittmenge.
Vogel: Absolut. Unsere Landeskirche hat vor einigen Jahren ein Umweltbüro eingerichtet, um unsere Kirchengemeinden dabei zu beraten, wie sie ihren Gebäudebestand energetisch sinnvoll sanieren. Wir haben vor ein paar Wochen ein Klimaschutzgesetz verabschiedet, damit unsere Kirche auf dem Pariser Klimapfad bleiben kann.
Außerdem ist es in unserer Tradition so, dass gerade die Kirche in der ehemaligen DDR aus dem sogenannten konziliaren Prozess kommt. Da ging es um Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Das ist ja quasi schon ein biblisches Thema: Bebauen und Bewahren. Heute heißt das natürlich: Einhaltung der Pariser Klimaziele, CO2- Begrenzung in den verschiedenen Sektoren, Schaffung von Rahmenbedingungen für mehr Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Das ist sicher ein Kernthema der Grünen.
Aber ich nehme mit großer Freude wahr, dass sich auch andere Volksparteien - die AfD sei hier außen vorgelassen - intensiver und stärker mit den Klimaschutzanstrengungen beschäftigen und das auch in ihrem Wahlprogramm verankert haben. Beim Thema Klimaschutz gibt es also tatsächlich eine große Nähe, aber andere Volksparteien machen das auch zu ihrem Thema.
DOMRADIO.DE: Annalena Baerbock wurde nach ihrer Kür zur Kandidatin erst einmal euphorisch gefeiert, dann aber wegen vermeintlicher und tatsächlicher Fehler überaus hart angegangen, vor allem auch in den Sozialen Medien. Mit was für Gedanken haben Sie diese Entwicklungen verfolgt?
Vogel: Ich habe wirklich erst einmal gedacht: “Naja, wie wunderbar. Wer zu Hause bleibt und nichts tut, der kann auch nichts falsch machen!” Fehler gehören fundamental zum menschlichen Handeln und zur menschlichen Existenz dazu, davon gehe ich erst einmal aus, das sagt unser christliches Menschenbild.
Aus meiner Sicht kommt es darauf an, wie Menschen mit Fehlern, die sie einfach immer wieder machen, umgehen. Bei einer Bewerberin um das Spitzenamt der Bundeskanzlerin kommt es natürlich besonders auf Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit an. Insofern gilt in meinen Augen: Wenn die Kandidatin einen Fehler macht, muss sie zeigen, dass sie damit offen und klar umgeht und vor allem den Fehler korrigiert. Ich habe das schon so wahrgenommen, dass Frau Baerbock das versucht hat. Ich vermute, dass die Grünen auch ein wenig überrascht waren über das, was da losgegangen ist.
In dem Zusammenhang wünsche ich mir von den Medienvertretern, dass sie nach Möglichkeit nicht Nebensächlichkeiten ins Zentrum rücken, sondern bei einer kritisch-konstruktiven Linie bleiben. Beim Thema der sogenannten Sozialen Medien sehe mit Sorge, wie sich Hass und Hetze in regelrechten Schmutzkampagnen ausbreiten. Die überschreiten zum Teil jedes erträgliche Maß. Dabei lebt unsere Demokratie doch davon, dass Menschen sich in allen Parteien um Mandate bewerben und in die Öffentlichkeit gehen. Diejenigen also, die im digitalen Bereich ihre Häme verbreiten, sollten fragen, wer eigentlich zukünftig noch bereit sein soll, sich und die eigene Familie solchen Unanständigkeiten auszusetzen.
Insofern habe ich zwischendurch so für mich die Liedzeile “Maria durch ein’ Dornwald ging” umgedichtet auf “Annalena durch ein’ Dornwald ging”.
DOMRADIO.DE: Hat Annalena Baerbock in Ihren Augen denn einen klaren ethischen Kompass?
Vogel: Ich würde schon sagen, dass so ein Kompass vorhanden und intakt ist. Nicht nur bei ihr, sondern bei vielen Demokratinnen und Demokraten. Gott sei Dank!
DOMRADIO.DE: Und auf welchen Grundwerten fußt dieser Kompass bei Frau Baerbock?
Vogel: Ich habe es so erlebt, dass sie als Trampolinspringerin aus dem Sport sehr gut weiß, was fairer Wettbewerb ist und was dazugehört. Ihre Sozialisation zunächst in Niedersachsen, in Kirche, Jugendarbeit und Sport sowie das Zusammenleben in einer Familie haben ihr gezeigt, dass sie Teil einer Gemeinschaft ist, in der Starke und Schwache ihren Platz haben und zusammen das Leben gestalten. So empfinde ich das.
Als studierte Völkerrechtlerin kennt sie mit Sicherheit die roten Linien, die das Zusammenleben der Völker und Staaten regeln. Ich freue mich daran, dass sie ein gutes Gespür dafür hat, wo internationale Vereinbarungen missachtet werden, im Fall Alexej Nawalny zum Beispiel oder was die unrechtmäßigen Verhaftungen in Belarus angeht oder auch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in unserem Land. Da freuen wir uns als Kirche natürlich, wenn Politikerinnen und Politiker klare Kante zeigen und die Dinge beim Namen nennen.
Dass sie als Frau für das gemeinsame Tragen von Lasten und Freuden von Männern und Frauen eintritt, davon gehe ich aus. Ich denke, Deutschland kann froh sein, dass wir in diesem Wahlkampf drei Bewerberinnen und Bewerber fürs Bundeskanzleramt haben, die alle fest in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung verankert sind.
Und das freut uns als Kirche natürlich auch.
Das Interview führte Hilde Regeniter.