Ungarn und die Slowakei sind traditionell katholisch geprägt. Doch der Papst sieht die Gefahr eines zunehmend oberflächlichen Christentums ohne aufrichtiges Zeugnis. Nicht alle sind mit dieser Kritik einverstanden.
Franziskus ist fit
Viel war im Vorfeld der 34. Auslandsreise von Papst Franziskus über seinen Gesundheitszustand spekuliert worden: Ist er nach der schweren Darm-OP im Juli wirklich fit genug für das Mammutprogramm, das ihn zum Eucharistischen Weltkongress nach Budapest und in die Slowakei führt? Inzwischen steht fest: Ja, ist er. Nicht weniger als zwölf Reden in vier Tagen mit Auftritten in insgesamt fünf Städten hat sich der 84-Jährige vorgenommen. Mehr als die Hälfte davon hat er bereits geschafft, und bislang sind ihm keinerlei Verschleißerscheinungen anzumerken.
Konfliktpotenzial
Eher im Gegenteil. Franziskus wirkt frisch, gut aufgelegt, geht Konfliktthemen nicht aus dem Weg. Und davon gibt es im "Herzen Europas" reichlich. Das wurde gleich zu Beginn der Reise am Sonntag in Ungarns Hauptstadt deutlich. Eigentlich war der Anlass des Besuchs dort feierlicher Natur. Durch die Anwesenheit des Papstes beim Eucharistie-Kongress sollte das zentrale Sakrament der katholischen Kirche, die in der Gestalt von Brot und Wein gefeierte Gegenwart Gottes, besonders gewürdigt werden. Aber die Abschlussmesse mit mehr als 100.000 Teilnehmern auf dem Heldenplatz und ringsherum sollte von der Begegnung des Papstes mit Viktor Orban überlagert werden.
Unvereinbare Positionen
Ungarns Ministerpräsident steht mit seiner konsequenten Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge aus muslimischen Ländern in krassem Widerspruch zum Papst. Der wirbt getreu seiner Enzyklika "Fratelli tutti" unentwegt für mehr "Geschwisterlichkeit" und "soziale Freundschaft". Wie unvereinbar die Positionen der beiden Männer sind, zeigen allein schon die Bilder von dem mit Spannung erwarteten Treffen im Museum der Schönen Künste. Auf schmucklosen Holzstühlen saßen sie sich bei der rund halbstündigen Unterredung gegenüber. Dazwischen kein Tisch, aber ein meterweiter Sicherheitsabstand, der sämtliche Corona-Schutzregeln deutlich übertrifft.
Ungarn nicht untergehen lassen
Tatsächlich fanden Orban und der Bischof von Rom in Budapest nicht zueinander. Der ungarische Regierungschef veröffentlichte als Statement im Nachgang nur einen einzigen Satz: "Ich habe Papst Franziskus gebeten, das christliche Ungarn nicht untergehen zu lassen." Zudem gab er ihm ein vielsagendes Geschenk mit auf den Weg: das Faksimile eines Briefes, in dem König Bela IV. im 13. Jahrhundert Papst Innozenz IV. um Hilfe beim Widerstand gegen mongolische Invasoren bat.
Unschmeichelhafter Appell
Auch Franziskus beließ es nicht bei diplomatischen Höflichkeitsfloskeln. Er nutzte die siebenstündige Visite, um in mehreren Ansprachen - mal mehr, mal weniger deutlich - Kritik an Regierung, Kirchenführung und der ungarischen Gesellschaft insgesamt zu üben. Öffnung, Dialog und mehr Mut zur Veränderung seien das Gebot der Stunde. Orban indes versuchte, den unschmeichelhaften Appell zu konterkarieren. Mit einiger Raffinesse inszenierte der Calvinist sich selbst als den wahren Verteidiger des Christentums.
Lob in höchsten Tönen
Völlig anders verlief am Montag der Einstand in Bratislava, wo von Anfang an ein herzlicheres Klima herrschte. Die sozialliberale Präsidentin Zuzana Caputova lobte ihren Gast in höchsten Tönen. Bei einem Empfang im Garten ihres Amtssitzes bezeichnete sie ihn als "eine der aktuell größten moralischen und spirituellen Persönlichkeiten der Menschheit".
Charmante Kritik
Franziskus revanchierte sich, trug seine Kritik an den Verhältnissen der Slowakei wesentlich charmanter vor als zuvor in Ungarn. Dabei verfolgt das Land an der Außengrenze der EU nicht nur in puncto Migration eine ganze ähnliche Linie wie die Visegrad-Partnerstaaten. Der slowakische Klerus gilt zudem als mindestens ebenso konservativ wie der ungarische. Viele Priester und Bischöfe beobachten den progressiven Kurs, der neuerdings aus Rom vorgegeben wird, mit Unverständnis.
Plädoyer für mehr Geschwisterlichkeit
Franziskus blieb auch am Dienstagmorgen in Presov vor 40.000 Menschen unbeirrt bei seinem Plädoyer für mehr "Geschwisterlichkeit" in allen gesellschaftlichen Fragen. Nur so lasse sich nach der Corona-Pandemie eine bessere, christlich-solidarische Zukunft gestalten, in der das Kreuz "im Herzen und nicht nur um den Hals" getragen werde. In der durch die Krise gespaltenen Slowakei könnten diese Worte wirklich auf fruchtbaren Boden fallen. Restriktionsbefürworter und Kritiker der geltenden Corona-Einschränkungen stehen sich dort scheinbar unversöhnlich gegenüber. Doch vor der Sporthalle in Presov kamen Tausende aus beiden Lagern zusammen, um gemeinsam mit dem Papst zu beten.