Zum Erntedankfest fallen erneut viele Umzüge und Märkte aus

Landlust und Ernährungsfrust

Ernährung ist politisch geworden. In Zeiten von Corona und Klimawandel bekommt das Erntedankfest eine völlig andere Note. Viele Ernteumzüge und Märkte fallen auch in diesem Jahr aus.

Autor/in:
Christoph Arens
Erntedankfest in der Kirche St. Josef in Bonn (2017) / © Harald Oppitz (KNA)
Erntedankfest in der Kirche St. Josef in Bonn (2017) / © Harald Oppitz ( KNA )

Volle Brotkörbe, Sonnenblumen, mit Weintrauben gefüllte Butten, pure Landlust: Zum Erntedankfest am Sonntag bieten viele ländliche Regionen Deutschlands traditionellerweise ein Stückchen heile Welt. Auch in vielen Kirchen lassen sich farbenprächtige Fotos aufnehmen: mit Früchten geschmückte Altäre, mit Ähren, Stroh und Blumen gewundene Erntekränze.

Aber das Feiern, der Dank für die Ernte und die Bitte ums tägliche Brot sind auch in diesem Jahr überschattet. Denn viele Herbstmärkte, Feste und traditionelle Umzüge fallen wegen Corona erneut aus - beispielsweise Deutschlands wohl größter Ernte-Umzug im ostwestfälischen Herzebrock-Clarholz. Auch die Weinernte im von Überflutungen zerstörten Ahrtal steht in diesem Jahr unter völlig anderen Vorzeichen. Kein Kopf für Weinfeste.

12 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll

Dunkle Schatten prägen darüber hinaus die weltweite Ernährungssituation: Laut Vereinten Nationen hungerten 2020 zwischen 720 und 811 Millionen Menschen. Die Gründe sind vielfältig: Kriege und Konflikte, Klimawandel, Armut und Ungleichheit. Zugleich zeigen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation, dass der Anteil der Menschen mit Übergewicht weltweit drastisch zunimmt - auch in Entwicklungsländern. Waren 1975 nur etwa 22 Prozent der Erwachsenen übergewichtig, stieg die Zahl 2016 auf etwa 39 Prozent. Zugleich wandern in Deutschland jährlich rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel auf den Müll - in privaten Haushalten allein 75 Kilogramm pro Kopf.

Verkehrte Welt. Zeit also für eine Ernährungswende, so fordern es viele UN-Organisationen und Hilfswerke. Die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme, beklagte jüngst in einem Gastbeitrag für das "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben" einen globalen Ernterückgang durch den Klimawandel. Zyklone wie 2019 in Mosambik, Malawi und Zimbabwe zerstören nicht nur Häuser, Schulen und Straßen, sondern vor allem Felder und damit die Ernten für die kommende Monate. Frühwarnsysteme, Wetterversicherungen, dürreresistentes Saatgut und innovative Anbaumethoden könnten Landwirtschaft widerstandsfähiger machen, so Thieme. "Das können die betroffenen Länder nicht allein bewältigen, sie brauchen finanzielle und logistische Unterstützung der Länder, die die Hauptverantwortung für den Klimawandel tragen."

Dramatische Entwicklung durch Klimawandel

Das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor weist vor dem Erntedanktag auf den Zusammenhang von Corona und Hunger hin. In den Metropolen Asiens etwa habe die Armut vielerorts eine breite Mittelschicht erreicht. In Subsahara-Afrika habe sich als Folge der Pandemie die Ernährungs- und Lebenssituation der ländlichen Bevölkerung erheblich verschlechtert, so das bischöfliche Hilfswerk.
In vielen Ländern Lateinamerikas weite sich der Landraub dramatisch aus.

Für Misereor und Welthungerhilfe ist klar: Die sich ausweitenden Ernährungskrisen müssten stärker auf die politische Agenda, fordert etwa Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. Um die Ernährung von bald zehn Milliarden Menschen zu sichern und zugleich die negativen Folgen der Klimakrise für die Landwirtschaft einzudämmen, brauche es eine schrittweise Umstellung der Ernährungssysteme. "Für die kommende Regierung bedeutet das unter anderem, dass die Tierhaltung an die Fläche gebunden werden muss, um Futtermittelimporte aus Übersee zu vermeiden", fordert Misereor.
Zudem müssten die Gesamtnutztierbestände verringert und der Konsum tierischer Produkte gesenkt werden.

Thieme fordert zugleich Reformen in den Entwicklungsländern. "In vielen Ländern des Südens werden die ländlichen Räume vernachlässigt und es fehlt die nötige Infrastruktur wie Straßen oder regionale Verarbeitungszentren wie Mühlen", kritisiert die Präsidentin der Welthungerhilfe. Gerade Kleinbauern und ihre Familien hungerten oftmals mehrere Monate im Jahr oder seien mangelernährt. Die Regierungen müssten auf dem Land funktionierende staatliche Institutionen schaffen. Die gezielte Förderung von Gewerbe und regionalen Märkten seien von entscheidender Bedeutung, um Beschäftigung und neue Einkommensquellen für die Landbevölkerung zu erschließen.


Quelle:
KNA
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