Ein bisschen ist es wie auf einem Festival: Das große Messezelt steht mitten auf einem Sportplatz, umgeben von dröhnenden Generatoren und Bauzäunen. Drinnen bietet sich ein ungewohntes Bild. Kleine Fahrräder, Dreiräder, Roller reihen sich aneinander - und zum Summen der Stromaggregate gesellen sich von allen Seiten Kinderstimmen.
Ende Oktober ist die Kita Blandine-Merten-Haus aus Bad Neuenahr-Ahrweiler in das Zelt eingezogen. Etwa 70 Kinder im Alter bis sechs Jahren verbringen nun hier ihren Tag. Morgens fährt sie ein Busshuttle aus dem Ahrtal in das höher gelegene Grafschaft. Ideal ist die Situation nicht. Und doch sind an diesem Tag vor allem frohe Stimmen hörbar, dass der Betrieb in einem Provisorium wieder möglich ist.
Denn als Mitte Juli die Flut das Ahrtal zerstörte, traf sie auch das rote Backsteingebäude der Kita mitten im Ort. Leiter Stefan Ibs zeigt Bilder vom Tag danach. Zwei Meter hoch stand das Wasser - Mobiliar, Spielsachen, Computer, alles ist dahin. Wie es mit dem Gebäude weitergeht, ist noch offen. Vermutlich muss es abgerissen und neu gebaut werden. Ibs rechnet mit mindestens vier Jahren, bis die Kita wieder in einer langfristigen Bleibe ist. "Ein Ort von Heimat geht verloren", sagt er.
Laute Geräuschkulisse und kalter Zeltboden
Wie auch im alten Gebäude gibt es im Zelt sieben Gruppenräume samt Nebenräumen. Sie sind durch dünne Wände voneinander abgetrennt. Hier endet die Ähnlichkeit dann auch schon. Nur wenige Decken konnten abgehangen werden. Kinderstimmen und Gelächter mischen sich unter dem Zeltdach. Nicht nur für die Krippenkinder, die mittags schlafen wollen, eine anstrengende Geräuschkulisse.
Die nicht beheizbaren Waschräume sind in Containern an das Zelt angeschlossen, links für die Mädchen, rechts für die Jungen. In der provisorischen Küche kann nicht gekocht werden, das Essen kommt von einem Lieferdienst. Kein Fenster kann geöffnet werden, ein Nährboden für Corona. Die Turnhalle fehlt. Und ein richtiges Außengelände gibt es auch nicht.
Das größte Problem jedoch ist die Wärme. Es ist November, die Tage werden zunehmend kühler. Der Zeltboden ist kalt, viele der jüngeren Kinder werden krank. Vier Öltanks mit je 1.000 Litern Öl treiben die
Stromgeneratoren an und heizen das Zelt. Zweimal in der Woche werden sie kontrolliert und gegebenenfalls nachgefüllt. Umwelttechnisch sei das eine Katastrophe, sagt Stefan Ibs und zuckt dann mit den Schultern: "Aber was sollen wir machen?"
Container-Kita in Planung
So viel Normalität wie möglich. An den Zeltwänden hängen selbstgebastelte Tiere und Bilder. Die Geburtstagskalender wurden denen aus den zerstörten Gruppenräumen nachempfunden. Und mit Laternen und einem Pferd zogen die Kinder an Sankt Martin ums Zelt.
Vor allem der Sozialraum fehlt. Das Zelt steht abgeschieden, hat keinen Anschluss an den Ort, an die Grundschule, die Kirchengemeinde. "Im Sinne der Kinder finde ich das nicht tragbar," sagt die stellvertretende Leiterin Gudrun Seydel dazu. Im neuen Jahr wird es für die Einrichtung noch ein Stück weiter den Berg hinauf gehen: In einem Industriegebiet entsteht eine Container-Kita.
Kita aus Sachsen spendete Spielzeug
Trotz aller Schwierigkeiten nehmen die Kinder die Situation gut an. In den Wochen nach der Katastrophe hatten viele Mädchen und Jungen ein besonders intensives Bedürfnis nach Nähe. Einige spielten immer wieder die Flutnacht nach. All das werde weniger. Trotzdem hat sich die Kita psychosoziale Unterstützung geholt - auch für die rund 30 Mitarbeitenden, die selbst teils schwer betroffen sind.
Der Zusammenhalt sei groß, berichten Ibs und Seydel. Die gesamte Einrichtung und alle Spielsachen sind Spenden. Und immer noch sind zwei Räume im Zelt komplett gefüllt mit Kuscheltieren, Mobiliar und Puzzeln, für die es aktuell keine Verwendung gibt. Besonders berührt ist Ibs von einer Gemeinde aus Sachsen. Nach den dortigen Hochwassern schickte die Ahrweiler Kita Spenden in das Gebiet. Der Kontakt hielt. Im Juli war die Gemeinde eine der ersten, die bei Ibs anrief und fragte, was sie tun könne. Viele der Kinderspielzeuge im Zelt stammen aus dem Osten.
"Wir brauchen eine Perspektive"
Die Kinder, Eltern und Mitarbeitenden arrangieren sich in ihrer neuen Unterkunft. Am Mittag, als der Nebel verschwindet und die Sonne rauskommt, rasen einige Mädchen und Jungen mit Dreirädern über den roten Belag des Sportplatzes. Ein paar Schritte weiter klart der Blick ins Ahrtal auf.
Dahin wollen sie wieder zurück. Der Kita-Leiter möchte nicht, dass seine Einrichtung über Jahre hinweg abgeschieden in einem Industriegebiet steht. "Wir brauchen eine Perspektive, wie es langfristig weitergehen soll", sagt er.
Am nächsten Tag kommt eine E-Mail von Stefan Ibs. Über Nacht gab es ein Problem mit den Generatoren, im Zelt hat es gerade einmal zehn Grad. Das ist zu kalt für Kinder und Mitarbeitende. An jenem Tag fällt der Kita-Betrieb aus.