Pfarrer Kossen kritisiert weiterhin Fleischindustrie

"Anschreien, Demütigen, Erpressen"

In der Fleischindustrie scheint Ausbeutung an der Tagesordnung - das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt. Seit 2021 soll ein Gesetz Abhilfe schaffen. Die Haltung der Großkonzerne hat es nicht verändert, sagt Sozialpfarrer Peter Kossen.

Pfarrer Peter Kossen / © Lars Berg (KNA)
Pfarrer Peter Kossen / © Lars Berg ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie kämpfen schon lange dafür, dass Männer und Frauen in der Fleischbranche nicht wie Arbeitssklaven behandelt werden. Was hat das neue Gesetz denn den Betroffenen konkret gebracht? 

Msgr. Peter Kossen (Katholischer Sozialpfarrer): In Schlachtung und Zerlegung ist die Werkvertragsarbeit ganz und die Leiharbeit weitgehend verboten. Das bedeutet, dass mehrere tausend Frauen und Männer in den Konzernen einen Festvertrag bekommen haben - nicht mehr bei einem Subunternehmer angestellt sind, bei dem sie voher beschäftigt waren, sondern direkt bei Westfleisch oder bei Wiesenhof oder bei anderen.

Damit haben die Betriebsräte und auch die Gewerkschaften einen Fuß in der Tür. Damit ist wirklich eine wichtige Ansage gemacht, dass Rechtsstaatlichkeit auch in der Fleischindustrie und in anderen Branchen gelten soll und dass diese Instrumente, die man hat, zum Beispiel mit Betriebsräten und Gewerkschaften, dort auch wieder gekräftigt und gestärkt werden sollen. Das hat soweit funktioniert.

Die andere Seite ist, dass es nur ein Anfang ist und dass die Haltung der Fleischindustrie und der Konzerne gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sich häufig nicht verändert hat. Die Behandlung dieser Leute - auch das Austricksen, das Umgehen von Sozialstandards, primitivsten Standards - das ist nach wie vor Gang und Gäbe. 

DOMRADIO.DE:  Woran liegt das denn, dass sich dahingehend nichts geändert hat? 

Kossen: Die Konzerne haben zum Teil diese Subunternehmer ganz aufgesogen, also den ganzen Betrieb. Die Vorarbeiter, die vorher schon das Sagen hatten, die die Leute anschreien, demütigen, erpressen, sind mit angestellt worden. Dadurch ist diese Art der Behandlung der Menschen aus Rumänien, Bulgarien und anderen südosteuropäischen Ländern eigentlich die gleiche geblieben. Das schildern uns jedenfalls immer wieder die Betroffenen, dass sie genauso behandelt und angeschnauzt werden, wie es vorher der Fall war. Was es nach wie vor auch gibt sind unbezahlte Überstunden oder, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Werkzeug kaufen und leihen müssen oder auch, dass Urlaubsansprüche nicht ausgezahlt werden. Diese Dinge sind nach wie vor nicht so geregelt, wie das eigentlich das Gesetz in Deutschland für alle vorsieht. 

DOMRADIO.DE: Was müsste denn passieren, damit endlich effektiv gegen solche Missstände vorgegangen wird? 

Kossen: Dieses Gesetz muss weitergeführt werden. Es betrifft ja jetzt auch nur die Leute in Schlachtung und Zerlegung. Aber zum Beispiel die Gebäudereiniger in den Schlachthöfen, die kommen gar nicht in den Genuss dieser neuen Regelungen. Das sind auch tausende von Menschen. Die werden nach wie vor genauso hart ausgebeutet wie vorher auch. Also, es müsste auch auf andere Branchen ausgeweitet werden, zum Beispiel auf die Logistik, auf die Paketzusteller, auf Gebäudereinigung, Gemüseernte, Schiffsbau, Hotellerie, auf Fahrrad-Lieferservices wie Lieferando und so weiter. Es gibt also ganz viele Bereiche, wo ganz ähnliche Strukturen herrschen. Die müssten auch von diesem Gesetz erfasst werden.

Wenn man wirklich Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit in den Servicebereichen und in den Dienstleistungen will, muss man das Gesetz ausweiten und man muss es kontrollieren. 2026 soll eine Kontrolldichte von fünf Prozent erreicht sein. Das bedeutet, es wird dann statistisch alle 20 Jahre ein Betrieb kontrolliert, in einer Szene, die bisher dafür bekannt ist, dass sie mafiöse Strukturen hat. Das ist viel zu wenig. Daraus entsteht kein Druck, wirklich etwas zu verändern. Das müsste also grundsätzlich noch mal anders angegangen werden. 

DOMRADIO.DE: Jetzt ist ja die Zeit mit dem großen Fokus auf diese Thematik vorbei. Und die Zeit der Weihnachtsbraten nähert sich. Können wir denn als Konsumenten mit unserem Kaufverhalten irgendwie Einfluss nehmen auf die Bedingungen in der Fleischindustrie? Oder sind diese Firmen nicht irgendwo alle gleich? 

Kossen: Es ist schon so, dass es überhaupt nur noch fünf große Konzerne gibt beim Rotfleisch - also Rind und Schwein - und beim Weißfleisch - also Pute und Hähnchen - die den Markt im Grunde bestimmen und unter sich aufgeteilt haben. Denen gegenüber stehen fünf große Discounterketten in Deutschland, die auch eine ganz unmoralische, unglückselige Rolle in diesem Unterbietungs-Wettbewerb spielen.

Aber es gibt hier und da noch Handwerks-Schlachter und ich meine, die sollte man vor Ort wirklich suchen und unterstützen. Da herrscht eine andere Qualität, auch eine andere Qualität im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich glaube das so pauschal sagen zu können. Also es ist wirklich sinnvoll, zu den Handwerks-Schlachtern zu gehen, die man vielleicht hier und da noch findet - in den Dörfern, in den Städten, auf den Wochenmärkten - oder auch dahin zu gehen, wo es eine Direktvermarktung auf den Höfen gibt. Die Landwirte sind ja auch mit Opfer dieses Systems. Die Schweinemäster leiden im Moment massiv unter genau diesem System. Und wo es eine Direktvermarktung gibt, wo man Landwirte direkt unterstützen kann durch den Kauf, sollte man das tun.

Man hat ja in der Regel dann wirklich eine viel bessere Qualität, als man sie beim Discounter findet. Und wenn es dann etwas teurer ist, ist es das meines Erachtens sicherlich auch wert: Die Qualität, aber auch die Gerechtigkeit, die damit verbunden ist. 

Das Interview führte Florian Helbig.


Quelle:
DR
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