Himmelklar: Gemeinsam mit dem evangelischen Pfarrer Norbert Roth haben Sie gerade das Buch "Haltepunkte: Gott ist seltsam, und das ist gut so" veröffentlicht. Dieser "seltsame" Gott hat Sie nun zur katholischen Kirche geführt, nachdem Sie sich lange Jahre in der evangelischen Kirche engagiert haben, unter anderem im Präsidium von evangelischem und ökumenischem Kirchentag. Wie kam es dazu?
Beatrice von Weizsäcker (Juristin, Autorin und freie Journalistin): Das ist eine längere Geschichte. Für mich ist wichtig, dass die Konversion keine Entscheidung gegen die evangelische Kirche gewesen ist. Ich fühle mich vielmehr durch meine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche beschenkt. Mein Wunsch, katholisch zu werden, war nicht das Ergebnis von Überlegungen, sondern vom Leben und Erleben. Und das reicht weit zurück. Ich bin im Rheinland groß geworden und habe dort das katholische Leben ganz normal als Kind miterlebt. Es ist mir vertraut gewesen – von Anfang an.
Später war ich lange in Berlin, wo es ja im Grunde weder das eine noch das andere gibt, was aber für meinen Glauben keine Rolle spielte. Ich war sehr aktiv und sehr gern beim evangelischen Kirchentag, nie in der verfassten Kirche. Vor fast zwanzig Jahren bin ich nach München gezogen. Hier gehöre ich einer Pfarrei an, die einen wunderbaren katholischen Chor hat, der eine große Rolle spielte für meinen Weg. Der Chor ist nicht nur eine sangesfreudige Gemeinschaft, sondern auch eine Gemeinschaft im besten Sinne des Wortes. Eine Gemeinschaft des Fröhlich-miteinander-Seins und des Füreinander-da-Seins, ohne aufdringlich zu werden. Das hat auf mich immer großen Eindruck gemacht.
Es ist in den letzten Jahren nicht nur in meinem Leben einiges passiert, was nicht schön war. Es sind auch im Leben anderer Chormitglieder Dinge passiert, die für die Betroffenen sehr schwer waren. Wir waren einfach immer füreinander da. Als mein Bruder in Berlin ermordet worden war, schickte mir am nächsten Tag jemand aus dem Chor ein Foto. Wir hatten gerade den Paulus von Mendelssohn einstudiert, waren schon kurz vor der Aufführung und probten bereits in der Kirche. Auf dem Foto war der gesamte Chor. Und jeder und jede hielt eine Kerze in der Hand. Das ist für mich ein Symbol für das, was ich meine – diese Form von Gemeinschaft, die mit Worten nicht zu fassen ist, die ein Licht gebracht hat – und mit dem Licht auch Wärme.
Das sind Dinge, die mich geprägt haben. Es kam noch eine Reihe anderer Erfahrungen und Erlebnisse hinzu. Und so ist dieser Entschluss in mir gereift. Ich habe lange überhaupt nicht darüber geredet, sondern das mehr empfunden, dahingeglaubt, wenn man so will. Ich habe einen wunderbaren geistlichen Begleiter, mit dem ich dann doch angefangen habe, darüber zu sprechen. Ein junger Priester, mit dem ich immer noch in gutem Kontakt bin. Der war der Einzige, der das wusste. Was mich sehr beeindruckt hat, war, dass er immer sagte: "Es ist Ihre Entscheidung. Ich begleite Sie, ob Sie nun evangelisch bleiben oder katholisch werden wollen." Diese Offenheit und auch Wärme und Freude. All das waren Schritte auf dem Weg, katholisch zu werden.
Himmelklar: Das heißt in erster Linie ging es Ihnen nicht um Theologie oder Kirchenpolitik, sondern um die Gemeinschaft, die vom Glauben getragen ist.
von Weizsäcker: Ich glaube, ja. Auch in der Zeit der Pandemie zeigte sich das. Wir durften als Chor lange gar nicht singen – wie alle – die Kirchen waren zu. Und trotzdem hat sich der Kontakt – natürlich nicht mit allen 60 Mitgliedern des Chores, aber mit einigen – immer gehalten, über WhatsApp-Gruppen zum Beispiel. Oder wir haben mal draußen gesungen, einfach so als kleine Gruppe mit Abstand. Man war auch in der Zeit immer füreinander da.
Himmelklar: Sie sagen ja ganz bewusst: Entscheidung für, nicht Entscheidung gegen. Aber man muss ja trotzdem die Frage stellen: Warum gab es das in Ihrem evangelischen Umfeld vorher nicht? Also wo ist da der Unterschied?
von Weizsäcker: Das ist eine gute Frage. Ich hatte diese Form von Gemeinschaft und Zugehörigkeit im evangelischen Umfeld einfach nie erlebt. Ein Unterschied zwischen den beiden Kirchen ist natürlich auch die Predigt. Die evangelische Kirche lebt stark vom Wort, von der Predigt. Und wenn eine Predigt gut ist, was unter uns gesagt selten der Fall ist, dann bin ich begeistert dabei. Es ist aber mit der Predigt auch geschehen. Dann singt man, betet das Vaterunser und so weiter – und geht wieder nach Hause. Was nicht zu kritisieren ist, wie gesagt, bei einer guten Predigt bin ich immer dabei.
Beim katholischen Gottesdienst schätze ich, dass die Sinne auch angesprochen werden. Ich mag den Weihrauch, die Kerzen. Ich mag das Kreuzzeichen, dass man nicht nur sagt "im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes", sondern dass man das an sich selbst vollzieht, also visualisiert. Ich mag die Sakramente als Zeichen der Nähe und der Gegenwart Gottes. Sie bedeuten mir viel. Ich lege auch durchaus weiter aus als andere, was für mich Sakrament ist. Zum Beispiel glaube ich, dass es Sakraments-Menschen gibt. Andere würden vielleicht sagen, es sind Engel. Aber ich würde eher sagen, es sind Sakraments-Menschen, die dieser seltsame Gott mir in bestimmten Situationen schickt.
Und dann mag ich, dass ich überall auf der Welt, auch wenn die Welt einem zurzeit nur virtuell nah sein kann, zu Hause bin. Auch wenn ich die Sprache nicht verstehe, verstehe ich trotzdem den Gottesdienst. Das sind Dinge, die ich anziehend finde und mag: dieses Geborgensein, dieses Zuhausesein, dieses Beheimatetsein.
Himmelklar: Es gibt für Sie also die intellektuelle Ebene und die emotionale Ebene. Die einen haben von dem einen mehr, die anderen von dem anderen. Kann man das so sagen?
von Weizsäcker: Auf jeden Fall. Es gibt natürlich auch sehr gute Predigten in den katholischen Messen. Sie spielen nur nicht die Hauptrolle.
Himmelklar: Wie war denn der Moment der Konvertierung? Ich vermute, das war im Gottesdienst. Wie haben Sie das erlebt?
von Weizsäcker: Das rein Juristische ist ziemlich banal – man tritt da aus und dann hier wieder ein. Es war eine Erwachsenenfirmung zu einer Zeit, als Corona schon da war, aber die Kirchen wieder geöffnet waren und man mit Maske und Abstand singen durfte. Es war ein regulärer Samstagabend-Gottesdienst. Und im Rahmen dieses Gottesdienstes war meine Firmung. Das werde ich nie vergessen. Das war wirklich wunderbar.
Erst war es mir super peinlich, weil ich dachte: "Oh Gott, im Mittelpunkt stehen. Meine Güte, können wir das nicht im stillen Kämmerlein machen?" Das hätten wir auch machen können. Das wollte ich aber dann doch nicht, weil ich es schön fand, dass die Leute, die kommen wollten und die gekommen sind, Zeuginnen und Zeugen wurden. Und auf diese Weise wurde ich nicht nur vor Gott, sondern tatsächlich auch vor den Menschen Teil der katholischen Kirche und der Pfarrei. Es waren etliche aus meinem Chor dabei und sangen. Es war zum Niederknien! Zum Teil Solo mit der Orgel, mit unserem wunderbaren Chorleiter, der auch Organist ist bei uns. Eine Freundin aus dem Chor ließ am Ende bunte Blumenblätter von der Empore runterregnen. Es war fast wie ein Familienfest im Rahmen einer regulären Messe. Es war sehr heilig, sehr fromm und sehr schön.
Himmelklar: Wie sahen eigentlich die Reaktionen auf diesen Schritt aus, auch aus Ihrem evangelischen Umfeld?
von Weizsäcker: Die Reaktionen waren eigentlich gut. Es gab durchaus die eine oder andere, die dann sagten: "Wie kannst du – und du bist doch Feministin ...?" – was schon ein Wort ist, mit dem ich nichts anfangen kann, wenn auch andere mich vielleicht so bezeichnen würden. Ich benutze solche Worte nicht. "Und mit deiner Lebensform und deiner Art und Weise, du passt doch gar nicht da rein ...?!", aber das war die absolute Ausnahme. Viele waren – zu meiner Überraschung – nicht überrascht.
Mein geistlicher Begleiter hatte mich schon darauf vorbereitet. Er sagte: "Denken Sie daran, wie andere reagieren würden!“ Dann habe ich das theoretisch gemacht – und sehr bald gemerkt: Das ist mir eigentlich egal. Jede und jeder soll, darf und kann seine eigene Auffassung und seinen eigenen Glauben haben. Und jeder darf auch kritisieren, was er oder sie möchte. Aber ich war mir meiner Sache so sicher, dass das für mich keine Rolle spielte. Wenn Gott meinen Weg so vorgezeichnet hatte, wie hätte ein Mensch das verhindern können?
Himmelklar: Aber ist es nicht trotzdem schwierig? Ich kann mir vorstellen, dass das ein Schritt ist, für den man sich auch rechtfertigen muss. Gerade jetzt in diesen Jahren, wo es so extrem ist mit der Missbrauchsthematik, mit Frauen und der katholischen Kirche, mit Homosexualität. Ich muss das ja nicht alles aufzählen. Da müssen sich ja selbst die Leute, die ihr Leben lang schon katholisch sind, inzwischen ziemlich dafür rechtfertigen, dass sie aus dieser Kirche nicht austreten, während Sie ja den entgegengesetzten Schritt gegangen sind.
von Weizsäcker: Genau. Woran Sie erkennen, dass die Themen, die Sie zurecht genannt haben, und mein Übertritt nichts miteinander zu tun hatten. Natürlich finde ich die Dinge, die kritisiert werden, ebenfalls kritikwürdig. Die sexualisierte Gewalt an Schutzbefohlenen, darüber müssen wir nicht reden ... Da kennen Sie in Köln viel mehr Geschichten als ich in Bayern, obgleich wir das auch kennen. Und soweit Strukturen da eine Rolle spielen und das begünstigen, muss man die ändern. Das ist ganz klar.
Natürlich finde ich auch die Haltung zur Segnung homosexueller Paare vollkommen falsch. Und der Reformbedarf ist enorm. Alles unbestritten. Es betrifft aber meinen Glauben nicht, seltsamerweise. Es geht einmal um Macht, Politik und Strukturen – und einmal um mein eigenes Innerstes. Das sind zwei verschiedene Dinge. Das eine interessiert mich, das andere macht mich aus.
Himmelklar: Das ist auch ein Kritikpunkt, der von konservativer Seite – inklusive Papst – gegenüber der deutschen Kirche und den deutschen Reformbestrebungen genannt wird: Dass zu viel an Strukturen gedacht wird und der Glaube darüber vergessen wird. Ist das auch Ihre Position?
von Weizsäcker: Nein. Also nicht insofern, dass ich sage: Leute, denkt mehr an den Glauben, also kümmert euch nicht; denn der Glaube und Gott sind wichtiger, also braucht ihr euch nicht zu kümmern. Das ist Nonsens. Denn die Missstände müssen abgestellt werden, das ist doch gar keine Frage.
Die Diskussionen kenne ich schon lange. Ich war schon im Präsidium des Ökumenischen Kirchentages in München 2010. Da kam die furchtbare Geschichte der sexualisierten Gewalt auf und wir haben noch quasi in letzter Minute ein großes Podium organisiert. Das heißt, ich war von Anfang an mit dem Thema befasst. Und es hat mich wie alle anderen sehr umgetrieben. Es ist aber etwas anderes als die Frage nach dem Glauben. Die Frage nach dem Glauben darf aber natürlich nie dazu führen, dass man sagt: Katholische Kirche, glaub mehr und kümmere dich nicht um den Rest. Das wäre ja absurd.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.