Schuld an der Ahr ist Sinnbild der Flutkatastrophe im Juli. Viele Menschen dort haben alles verloren. Bis heute ist der Ort schwer gezeichnet, auch wenn die Bürger sich glücklich schätzen, dass in Schuld niemand im Hochwasser ums Leben kam. Mit Lichterketten, Kerzen und Kugeln in rot und gold wappnet sich das Dorf nun in der Adventszeit gegen Dunkelheit und Schwermut. Dazu soll auch ein kleiner Adventsmarkt auf dem Platz vor der katholischen Kirche Sankt Gertrud beitragen, mit Waffeln und Plätzchen, Reibekuchen, Würstchen, Glühwein und alkoholfreiem Punsch; aber auch Kisten voller Weihnachtsdekoration und Winterkleidung zum Mitnehmen.
Gemeinschaft leben
Menschen stehen auf dem Weihnachtsmarkt in kleinen Gruppen zusammen, der Bürgermeister und der Pfarrer neben Jugendlichen und Senioren, Familien und Einzelnen; Bürger aus Schuld und der Umgebung, außerdem Fluthelfer, die wissen wollen, wie sich das Dorf in den vergangenen Wochen entwickelt hat. Gespräche reichen von kurzen Zurufen wie "Alles klar?" - "Nee!" - "Ja, weiß ich doch" bis zu langem Austausch und Lachen.
Jeder hier hat eine Geschichte zu erzählen. Wie Andreas Peerebooms und seine Partnerin, die auf dem Weg von ihrem Ausweichquartier zu ihrem stark beschädigten Haus vorbeischauen. Peerebooms zeigt Handyfotos des Flutabends: Sie dokumentieren im Minutentakt, wie zuerst die Straße verschwand, dann die Autos und Transporter von Peerebooms Trockenbaufirma wegschwammen. Sie zeigen den Nachbarn, der in seiner Einfahrt steht, am Ende bis zur Brust im Wasser.
Gemeinsam Trauma verarbeiten
Peerebooms berichtet, wie er den Mann mit einer Leine aus dem Wasser gezogen hat, wie sie im Dachgeschoss die Nacht ausharrten, unten das Wasser rauschte, und sie am Morgen aus dem Fenster kletterten, weil sich hinter dem Haus angespültes Treibgut meterhoch stapelte. Peerebooms Haus ist noch immer eine Baustelle. Und doch betont der Handwerker: "Ich werde Weihnachten zu Hause verbringen!" - wie provisorisch auch immer es werde, er freue sich darauf, dorthin zurückzukehren.
Dort im Tal, wo im Juli die Wassermassen wüteten, plätschert nun in Schleifen die Ahr entlang. Die Häuser, die noch stehen, sind weitgehend entkernt und viele noch nicht oder nur provisorisch bewohnbar. Dazwischen klaffen immer wieder große Lücken, wo Häuser von den Fluten weggespült oder stark beschädigt abgerissen wurden. Anfang Dezember ist das Tal eine große Baustelle, Schmutz und Dreck hinterlassen Spuren im ganzen Dorf. 740 Einwohner hat Schuld. 144 seien offiziell von der Flut betroffen, sagt der Vize-Bürgermeister Rene Haas. "Wobei im Prinzip jeder im Dorf betroffen ist, auch wenn nicht jeder seine Existenz verloren hat."
Lichtblicke gewünscht
An vielen entkernten Häusern im zerstörten Ortskern im Tal stehen geschmückte Weihnachtsbäume zwischen Dreck und Schlamm. Freiwillige Helfer, darunter Geflüchtete, haben in den vergangenen Tagen vor jedem Haus einen Tannenbaum aufgestellt und mit Kugeln und Lichterketten geschmückt. Wenn es dunkel wird, leuchten nun in den zerstörten Ortsteilen neben den grellen, provisorischen Flutlichtstrahlern auch die Weihnachtsbäume in warmem Gelb.
Einen solchen Weihnachtsbaum hat auch Olaf Justen auf seinem Grundstück stehen. "Aber ohne Lichterketten, weil Licht in der Adventszeit bedeutet Hoffnung und die gibt es für mein Baugrundstück nicht", sagt er. Sein Haus ist mit der Flut weggeschwommen, wie sie hier sagen. Eine Baugenehmigung für das Grundstück direkt an der Ahr bekommt er nicht mehr. Und bis feststeht, wo er stattdessen bauen kann, dauert es. Schuld sei weiterhin sein Zuhause, sagt er, aber "es ist jetzt ein anderes".
Weihnachtsgeschenke aus ganz Deutschland
Ein paar Schritte neben den Weihnachtsmarkt-Ständen parkt ein LKW, vor dem sich eine Schlange bildet. Ein Team aus der Gegend um Öhringen in Baden-Württemberg verteilt Geschenke: 1.300 Pakete in Schuhkartongröße haben sie mitgebracht, gespendet von Privatpersonen und Firmen, sagt Organisatorin Daniela Kern-Herwerth vom Racing-Team Öhringen. Die Päckchen sind nach Alter sortiert, enthalten Geschenke und eine persönliche Karte.
Zwei Jungs stehen vor der Rampe des LKW, sieben und neun Jahre alt. Die Familie aus Bad Münstereifel lebt aktuell in einer Ferienwohnung, ihr Haus ist durch das Hochwasser unbewohnbar, berichtet Vater Mathias Hufschmiedt. Die Ferienwohnung sei zu klein, der jüngste Sohn schlafe im Flur. Aktionen wie der Weihnachtsmarkt oder die Geschenke, "das bringt etwas Helles in diese fiese und dunkle Zeit", sagt er. Handwerker für die Renovierungsarbeiten habe er zum Glück. "Aber die allein reichen nicht", meint er. Es fehle ein Zuhause für den Kopf. Hufschmiedt spricht von einer "mentalen Obdachlosigkeit".
Weihnachten auf der Baustelle
Den Kontakt zum Öhringer-Team hat Michael Schweitzer aus Schuld hergestellt. Wie viele lebt auch er mit Partnerin aktuell in einer Baustelle - immerhin im eigenen Haus. "Die Schäden sind da und der Dreck ist auch immer noch da. Und durch den Dreck fahren wir jeden Morgen und jeden Abend, da kannst du nie ganz abschalten", beschreibt er die Lage. "Aktionen wie diese Geschenk-Kartons, das ist etwas für die Seele, das zieht hoch, lässt mal wieder lächeln." Er spricht von einem Gänsehaut-Moment - bei einer ansonsten angespannten Grundstimmung im Dorf.
Nach Wochen, in denen die Menschen über ihre Grenzen hinaus arbeiteten, heißt es nun für viele warten: dass Handwerker Zeit finden, Anträge bearbeitet und Gelder ausgezahlt werden. Jeder geht mit der Ausnahmesituation anders um. Einige sind motiviert, ihr Zuhause oder ihren Betrieb wieder aufzubauen, andere verunsichert, weil zugesagte Unterstützungsgelder noch nicht ankamen, wieder andere enttäuscht über das langsame Tempo und manch einer sieht keine Zukunftsperspektive.
Ein bisschen Normalität
Der Weihnachtsmarkt löst zwar keine Probleme, aber er gibt ein Stück Normalität zurück - und genau das wünschen sie sich hier. "Die meisten Menschen haben Sehnsucht, dass ein bisschen Alltag stattfindet in der Katastrophe", sagt Pfarrer Rainer Justen. Küsterin Resi Weiler meint: "Wir brauchen ein Stück Normalität, ohne die denkt man den ganzen Tag darüber nach." Im Moment trage der Gedanke, dass es irgendwann besser werde - und der Zusammenhalt und die anhaltende Hilfe von außen.