DOMRADIO.DE: Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) ist noch nicht endgültig; jetzt läuft noch ein Abstimmungsverfahren mit Fachgesellschaften und Ländern. Halten Sie die Stellungnahme der STIKO in diesem Moment trotzdem für sinnvoll?
Peter Liese (CDU-Europaabgeordneter und Arzt): Ich bin zunächst einmal froh, dass es jetzt eine Empfehlung der STIKO gibt und dass es ab nächste Woche auch den Impfstoff in den angepassten Dosen für Kinder gibt. Denn es ist zwar richtig, dass Kinder in der Regel ein geringeres Risiko haben. Aber manche Kinder haben durchaus ein hohes Risiko - zum Beispiel Jungen und Mädchen mit Downsyndrom, Lungen- oder Herzerkrankungen. Insbesondere bei Kindern mit Downsyndrom ist das Risiko dramatisch erhöht; und ihre Familien warten sehnsüchtig darauf, dass diese Kinder endlich geimpft werden. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass die STIKO mit ihrer Empfehlung für Kinder ohne erhöhtes Risiko noch etwas warten will. Das darf aber in meinen Augen nicht zu lange dauern.
DOMRADIO.DE: Also sollten Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen jetzt tatsächlich schnell geimpft werden, genauso wie alle, die ständig mit Risikopatienten in Kontakt stehen?
Liese: Ja, das muss jetzt wirklich sehr schnell gehen. Deswegen habe ich mich auch gegenüber der Europäischen Arzneimittelagentur dafür eingesetzt, dass die Zulassung schnell kommt - ohne Abstriche an den vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen - und dass auch Biontech die angepassten Dosen schnell liefert. Wenn ich ein Kind hätte, das unter einer Vorerkrankung leidet oder aus anderen Gründen ein erhöhtes Risiko hat, ich würde keinen Tag zögern, es impfen zu lassen.
DOMRADIO.DE: Die große Unsicherheit liegt natürlich bei den anderen, den Familien mit gesunden Kindern. Wie bewerten Sie da die Situation?
Liese: Es ist so, dass ab nächster Woche jeder die Impfung durchführen lassen kann, der das möchte. Ich habe - wie gesagt - Verständnis dafür, dass die STIKO erst noch mehr Daten will, um wirklich sicher zu sein. Im Sommer bei der Impfempfehlung für die Jugendlichen von zwölf bis 15 hat sich die STIKO meiner Meinung nach ein bisschen lange Zeit gelassen, denn die Daten aus den USA und aus Israel lagen ja schon länger vor. Die STIKO hat selbst zugegeben, dass es ein Problem ist, dass sie ehrenamtlich arbeitet und die hauptamtliche Unterstützung sehr bescheiden ist. Ich meine, das müsste schneller gehen! Aber dass man jetzt noch vier Wochen wartet bei den gesunden Kindern, die kein erhöhtes Risiko haben, finde ich akzeptabel. Denn diese angepassten Dosen sind nicht unbegrenzt verfügbar und das Risiko für gesunde Kinder ist relativ gering. Das Risiko der Impfung wiederum, das hat sich bei allen anderen Bevölkerungsgruppen herausgestellt, ist extrem gering, insbesondere wenn man mit mehreren Impfstoffen impft. Wir sprechen ja nicht mehr über AstraZeneca, wo wir – zwar auch sehr selten - schwere Nebenwirkungen gesehen haben. Bei den mRNA-Impfstoffen dagegen gibt es wirklich sehr wenig Nebenwirkungen. Von daher glaube ich, dass wir in einigen Wochen empfehlen können, auch jüngere Kinder damit zu impfen. Aber das muss nicht unbedingt in dieser Woche sein, so wie bei den Kindern mit erhöhtem Risiko.
DOMRADIO.DE: Sie sind Europapolitiker – wo stehen denn andere EU-Länder in der Diskussion um Kinder-Impfungen?
Liese: Das geht in den verschiedenen europäischen Ländern sehr weit auseinander. Nicht überall gibt es eine Ständige Impfkommission, teilweise ist das Gesundheitsministerium mit eigenen Experten zuständig. Die Zulassung liegt schon seit über zwei Wochen vor. Das ist sehr wichtig, das gibt Rechtssicherheit. Und die angepassten Impfdosen sind da. Das konnten wir auf europäischer Ebene so entscheiden. Wie man dann konkret damit umgeht, wird in den Mitgliedsstaaten entschieden und ist am Ende eine sehr individuelle Entscheidung von Kindern und Eltern.
DOMRADIO.DE: Die Auslieferung des Biontech/Pfizer-Impfstoffes für Kinder ist auf Montag vorgezogen worden – damit kann es jetzt schnell losgehen. Sehen Sie das als einen Mosaikstein der Hoffnung in dieser vierten Welle?
Liese: Ja, absolut. Mir lagen gerade diese Kinder mit erhöhtem Risiko am Herzen, weil ich als Arzt in einer Kinderklinik intensiv mit Kindern mit Down-Syndrom, Lungenerkrankungen und ähnlichem gearbeitet habe. Eltern, auch Eltern-Organisationen zum Beispiel von herzkranken Kindern, haben mich immer wieder angesprochen. Es besteht die große Gefahr, dass solche Kinder vergessen werden. Aber jetzt haben wir endlich Hilfe. Sie sind ein kleiner Teil der Gesellschaft. Aber gerade, wenn es um solche Kinder geht, die die ohnehin schon leiden, müssen wir uns ganz dringend kümmern. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir das jetzt geschafft haben. Und wenn nichts Gravierendes mehr passiert, kann im Januar eine allgemeine Empfehlung für die Altersgruppe folgen. Dann haben wir wieder einen Mosaikstein, wie wir die Verbreitung des Virus verhindern können. Dann werden Kinder gegen die sehr seltenen schweren Verläufe geschützt und vor allen Dingen auch gegen das PIMS- Syndrom. Das wird auch den Schulbetrieb sicherer machen und dann können wir insgesamt wieder etwas optimistischer in die Zukunft schauen.
Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.