Wie Frankreichs Kirche Missbrauchsanerkennungen zahlen will

Bistümer müssen knapsen

Die Hochrechnungen der Missbrauchsopfer in Frankreich waren verheerend. Finanzielle Anerkennungsleistungen werden die Kirche in einem Land ohne jede staatliche Unterstützung schwer belasten. Eine Bestandsaufnahme.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Französische Bischöfe bei Papst Franziskus (VN)
Französische Bischöfe bei Papst Franziskus / ( VN )

Das Missbrauchsopfer Francois Devaux adressierte Frankreichs Bischöfe direkt, Wort für Wort betonend: "Sie - müssen - für - jedes - dieser - Verbrechen - bezahlen." Das werde "Milliarden kosten".

Es war der beklemmende Auftakt zu einer denkwürdigen Pressekonferenz, als Anfang Oktober die Untersuchungskommission zu sexuellem Missbrauch in der Kirche (Ciase) ihren Abschlussbericht an die Französische Bischofskonferenz und die Konferenz der Ordensleute (Corref) übergab.

Höhe der Kosten ist schwer zu schätzen

Einen Monat später (8. November) kündigten die Bischöfe die Schaffung eines Wiedergutmachungsverfahrens für Missbrauchsopfer an. Die Höhe der Kosten ist schwer zu schätzen. Doch während die Kirche noch an einem Finanzierungskonzept arbeitet, müssen die Diözesen zu Jahresbeginn bereits die ersten 20 Millionen Euro Jahresetat für den Hilfsfonds zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch (Selam) freigeben.

Bischof Dominique Blanchet von Creteil im Großraum Paris kündigte etwa bereits an, für den Entschädigungsfonds sein Bischofshaus zu verkaufen und in eine "bescheidenere" Wohnung zu ziehen. Die bretonischen Bistümer Nantes, Saint-Brieuc und Rennes haben zusammen bereits 1,1 Millionen Euro zugesagt. Viele Bischöfe stiften aus ihrem Privatvermögen zu.

In gemeinsamem Besitz von Frankreichs Diözesen ist der Hauptsitz der Bischofskonferenz in der Pariser Avenue de Breteuil. Als er 2004 gekauft wurde, kostete er 20 Millionen Euro, sagte Olivier Lebel, Unternehmensberater und früherer Vize-Generalsekretär der Bischofskonferenz, der Zeitung "La Croix". Heute sei die Immobilie wohl das Doppelte wert. Aber, so macht Lebel geltend: Das Haus sei ein Treffpunkt für alle, die aus der Provinz kommen. Auch ein Ersatz müsse zentral zwischen den Pariser Bahnhöfen liegen.

Rechtlich ist derzeit allerdings noch gar nicht endgültig geklärt, ob und wie Frankreichs Bistümer den Selam-Fonds überhaupt direkt finanzieren können. Denn ihre eigenen Einkünfte sind gemäß dem Gesetz der Trennung von Kirche und Staat von 1905 an die Finanzierung der kirchlichen Kernaufgaben gebunden: Gottesdienst, Seelsorge, Caritas etc. Eine Klärung zwischen staatlicher Verwaltung und Bischofskonferenz sei in Gang, teilte deren Sprecher Hugues de Wollemont unlängst mit.

Immobilienvermögen der Diözesen zu Geld zu machen, ist auch nicht einfach. Die Gotteshäuser selbst gehören, sofern sie vor 1905 gebaut wurden, dem Staat. Alte Seminargebäude, Pfarrsäle, Pfarrhäuser und Bildungsstätten sind ein Erbe, das meist mehr kostet, als es einbringt. Aus dem ein oder anderen könnte man ein Hotel machen, aber bei weitem nicht aus allen.

Einsparmöglichkeiten kommen auf den Prüfstand

Unterdessen kommt in den Bistümern nun jede noch so kleine Einsparmöglichkeit auf den Prüfstand. Seit dem Gesetz von 1905 erhält die Kirche im katholischen Frankreich keinerlei staatliche Zuschüsse, ist allein auf die Spenden von Gläubigen angewiesen. Priester und Bischöfe bekommen monatlich rund 950 Euro, von denen teils noch Unterkunft und/oder Verpflegung zu bestreiten sind.

Die Diözesen sind aufgefordert, Rücklagen zu bilden, die ungefähr einem Ausgabenjahr entsprechen. Dennoch ist die Finanzlage höchst uneinheitlich. Aus diesen Betriebsreserven der Bistümer zu schöpfen, kann angesichts von Baulast und Personalkosten schnell prekär werden.

Finanziell gut da steht das Erzbistum Paris; es verfügt laut Radio France über 700 Millionen bis eine Milliarde Euro Gesamtvermögen. Das Hauptstadtbistum hatte das Glück, dass ihm im 20. Jahrhundert viele wohlhabende Familien ein Herrenhaus oder sonstiges Gebäude schenkten. Und angesichts der Preisentwicklung sind Immobilien in Paris noch viel mehr wert als in der Provinz.

Besser geht es auch in den Departements Elsass und Mosel, wo das Konkordat Napoleons von 1801 weiter Geltung besitzt und die Bistümer also nicht für den Unterhalt der nach 1905 errichteten Gotteshäuser zuständig sind. Sie konnten ausreichende Reserven bilden und in Aktien- und Anleihen-Portfolios anlegen. Und der Aktienmarkt hat zuletzt gebrummt.

Überbrückungsdarlehen vorgeschlagen

Um schnell die Mittel für das reibungslose Funktionieren des Selam-Entschädigungsfonds aufzubringen, ohne auf den Verkauf von Vermögenswerten warten zu müssen, haben Bischöfe ein Überbrückungsdarlehen vorgeschlagen, in Form eines Barkredits, der nachträglich mit dem Erlös aus Immobilienverkäufen zurückgezahlt würde. Eine Verschuldung komme nicht in Frage.

Einzelne Bischöfe schließlich haben auch die Möglichkeit angesprochen, das Erbe verstorbener Priester, die wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurden, an den Selam-Fonds zu übergeben. In einem Bistum im Nordosten etwa fühlte sich der Bischof nicht wohl mit einem Nachlass von 300.000 Euro.

Finanzeinbußen durch die Corona-Krise

Bleiben noch die großen Finanzeinbußen durch die Corona-Krise.

Kirchen waren geschlossen, Kollekten fielen aus, Tagungshäuser blieben leer. Immerhin: Mitte Dezember teilte die Bischofskonferenz ein Minus von "nur" 40 Millionen Euro mit - lediglich halb so viel wie zunächst veranschlagt. Entlastung brachten einige Sonderkollekten; und, so Ambroise Laurent, Vize-Generalsekretär der Bischofskonferenz im Gespräch mit "La Croix": "Es sind Vermächtnisse, Immobilienverkäufe und die wenigen Finanzprodukte, die den Haushalt im Gleichgewicht halten."

Auf bis zu 330.000 hat die Ciase-Kommission die Zahl der Missbrauchsopfer seit 1950 hochgerechnet. Wie viele davon finanzielle Entschädigungsleistungen einfordern werden, ist nicht abzusehen.

Viele haben schon bekundet, darauf zu verzichten. Wer das nicht möchte, muss sich an die Unabhängige Nationale Behörde für Anerkennung und Wiedergutmachung (Inirr) wenden. Behörde und Opfer legen gemeinsam den vom kirchlichen Selam-Fonds zu zahlenden Betrag fest. Dieser Prozess kann freilich voraussichtlich mehrere Jahre dauern.

Die Ordensgemeinschaften wollen Missbrauchsopfer direkt entschädigen. Dafür hat die Konferenz der Ordensleute ähnliche Strukturen - Kommission und Stiftungsfonds - eingerichtet.


Papst Franziskus empfängt Dominique Blanchet / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus empfängt Dominique Blanchet / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA
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