Dabei gilt der Australier, der sich wegen Missbrauchsvorwürfen in seiner Heimat jahrelang vor der Justiz verantworten musste, mittlerweile als rehabilitiert. Nach 400 Tagen in Haft wurde er im April 2020 freigesprochen. Dass ihn Papst Franziskus einige Monate später im Vatikan empfing, werteten viele Beobachter als Zeichen der Wertschätzung. Der Ruf des Kardinals - so hat es den Anschein - ist wiederhergestellt.
Dennoch will Pell nicht so einfach mit den Ereignissen der vergangenen Jahre abschließen. Vor allem ein beunruhigender Verdacht steht im Raum. Hat womöglich sein einstiger Widersacher Giovanni Angelo Becciu Einfluss auf die Missbrauchsermittlungen in Australien genommen?
Streit mit Kardinal Becciu
Die beiden Kirchenmänner verbindet eine intensive Rivalität. Während Pell sich als Präfekt des 2014 errichteten Wirtschaftssekretariates um eine stärkere Finanzkontrolle bemühte, geriet er mehrfach mit Becciu aneinander. Der Italiener war von 2011 bis 2018 Substitut des vatikanischen Staatssekretariats und damit eine Art Stabschef der kirchlichen Leitungszentrale. Dass ein anderer versuchte, die Finanzhoheit für sich zu beanspruchen, gefiel ihm offensichtlich gar nicht. Immer wieder kam es zu Kompetenzstreitigkeiten.
Als 2017 das Missbrauchsverfahren gegen den Wirtschaftspräfekten begann, war dieser aus dem Spiel. Der Machtkampf schien zugunsten Beccius entschieden, der ein Jahr später zum Kardinal aufstieg.
Bestechung von Zeugen durch Geld aus Rom?
Medien spekulieren schon länger darüber, ob er mit verdeckten Zahlungen aus Rom den Prozess gegen Pell ins Rollen gebracht haben könnte - etwa durch Bestechung von Zeugen. Doch Nachforschungen der australischen Finanzbehörden verliefen im Sande.
Nun gibt Pell höchstpersönlich den Verdächtigungen und Spekulationen neue Nahrung. Im Interview des US-Portals «National Catholic Register» wirft er dem inzwischen geschassten Kurienkardinal indirekt vor, tatsächlich für dubiose Überweisungen des Vatikan nach Australien verantwortlich gewesen zu sein: "Ich habe eine Frage an Kardinal Becciu: 'Wird er uns sagen, wofür das Geld bestimmt war?'"
Konkret soll es um 2,3 Millionen Australische Dollar (rund 1,5 Millionen Euro) gehen. Pell will durch Aufzeichnungen aus dem aktuellen Vatikan-Finanzprozess von den angeblichen Geldtransfers erfahren haben. Sie fielen demnach genau ins Jahr 2017, als er wegen der Missbrauchsvorwürfe zusehends unter Druck geriet.
Unklare Geldströme
Der Hauptzeuge aus dem vatikanischen Finanzprozess, Alberto Perlasca, behauptete, das Geld sei an die Australische Bischofskonferenz geflossen. "Das ist garantiert falsch", versichert Pell. Er habe dort nachgefragt: Es sei nichts angekommen. In dem laufenden Verfahren vor dem Strafgericht des Vatikan geht es unter anderem um verlustreiche Investitionen des Staatssekretariates. Zu den Angeklagten zählt auch Becciu.
Dessen australischer Ex-Rivale betont aus der Ferne, er wäre froh, wenn die geflossenen Gelder nichts mit dem Missbrauchsprozess zu tun hätten. "Dann wäre ich beruhigt, und wir könnten mit unserem Leben weitermachen." Bisher allerdings fehlten die entsprechenden Informationen.
Um darzulegen, dass Misstrauen durchaus angebracht ist, gibt Pell Einblicke in das seinerzeit chaotische Finanzgebaren der Kurie. Er berichtet über "schwarze Kassen", Inkompetenz und Nachlässigkeit in der Verwaltung. Als verantwortlicher Kontrolleur habe er versucht, Ordnung zu schaffen. Dabei seien insgesamt 1,3 Milliarden Euro entdeckt worden, zu denen keine Aufzeichnungen in den Büchern existiert hätten: "Das Geld war nicht gemeldet."
Strukturelles Defizit beim Vatikan
Auch mit Blick auf die Zukunft ist der Kardinal eher skeptisch. Er bezweifle, dass der Prozess vor dem vatikanischen Strafgericht am Ende wirklich zur Aufklärung beitrage. "Das Verfahren könnte aus juristischen Gründen scheitern", gibt Pell zu bedenken. Die vom Papst eingeleitete Finanzreform beurteilt er ebenfalls zwiespältig. Die besten Maßnahmen nützten nichts, wenn die zuständigen Mitarbeiter nicht integer und kompetent seien. So leide der Vatikan nach wie vor unter einem "strukturellen Defizit". Das sei durch die Corona-Krise sogar noch einmal angewachsen - "auf mindestens 50 oder 70 Millionen Euro pro Jahr".