Vor 100 Jahren wurden Jugendliche ab 14 religionsmündig

Ein Zankapfel über Jahrhunderte

Es war ein wegweisendes, aber heute dennoch vergessenes Gesetz: Vor 100 Jahren entschied der Reichstag, dass Jugendliche ab 14 Jahren religionsmündig sind. Vorher wurde lange darüber gestritten. 

Autor/in:
Christoph Arens
Jugendliche mit Rosenkranz / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Jugendliche mit Rosenkranz / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Es gilt seit genau 100 Jahren und ist seitdem nicht mehr verändert worden. Seit dem 1. Januar 1922 dürfen Jugendliche ab dem Alter von 14 Jahren frei wählen, ob und welcher Religion sie angehören wollen. Zugleich regelt das im August 1921 verabschiedete Gesetz die Frage, welcher Elternteil darüber entscheiden darf, in welcher Religion ein Kind erzogen wird.

Flickenteppich beseitigt

Das Elternrecht auf Erziehung auf der einen Seite, das Grundrecht auf Religionsfreiheit auf der anderen Seite: Als der Reichstag mit großer Mehrheit - nur die Bayerische Volkspartei stimmte dagegen - das "Gesetz über die religiöse Kindererziehung" (RKEG) beschloss, beseitigte er einen Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen, die zum Teil noch aus der Zeit kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges stammten. Dem Zentrumspolitiker Wilhelm Marx, zweimal Reichskanzler der Weimarer Republik, gelang es, fast alle Fraktionen von der Notwendigkeit einer Neuregelung zu überzeugen.

Denn es gab im Deutschen Reich zuvor nicht weniger als 30 verschiedene Landesrechte, die die religiöse Kindererziehung thematisierten oder sich - wie in Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Strelitz - damit überhaupt nicht befassten. In Preußen existierten sieben unterschiedliche Regelungen, in Frankfurt am Main allein fünf.

Bestimmungsrecht hatte der Vater

Bereits bei der Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches Ende des 19. Jahrhunderts hatte es deshalb Versuche gegeben, eine einheitliche Regelung zu beschließen. Die wachsende Mobilität der Bevölkerung und die zunehmende Zahl von Mischehen drängten immer stärker zur Vereinheitlichung. Vor allem sah der Gesetzgeber die Notwendigkeit, die in der Weimarer Reichsverfassung enthaltene Gleichberechtigung von Mann und Frau auch bei der religiösen Kindererziehung durchzusetzen.

So zersplittert nämlich die landesrechtlichen Regelungen auch waren, so hatten sie doch eines gemeinsam: In den meisten Gesetzen wurde das Bestimmungsrecht - jedenfalls für die Erziehung der ehelichen Kinder - dem Vater eingeräumt.

Im neuen Gesetz von 1921 hieß es dann in Paragraph 1: "Über die religiöse Erziehung eines Kindes bestimmt die freie Einigung der Eltern." Für den Fall der Nichteinigung war die Vermittlung oder Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vorgesehen.

Recht der Kinder

Schon vor dem 14. Lebensjahr haben Kinder seitdem - das gilt bis heute - abgestufte Mitspracherechte. Ab Vollendung des 10. Lebensjahres ist das Kind vom Gericht anzuhören, wenn es in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden soll.

Ab Vollendung des zwölften Lebensjahres darf ein Kind nicht mehr gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Mit Vollendung des 14. Lebensjahres steht ihm die Entscheidung darüber zu, "zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will".

Eigenheit je Territorium

Über Jahrhunderte war die Frage, ab wann Jugendliche über ihre Religionszugehörigkeit entscheiden dürfen, ein Zankapfel zwischen Katholiken und Protestanten - etwa dann, wenn Jungen und Mädchen zu Waisen geworden waren und in eine anders-konfessionelle Familie kamen.

Da sich beide Konfessionen nicht einigen konnten, traf jedes Territorium in Deutschland eine eigene Regelung: Bayern und Sachsen entschieden sich für das 21. Lebensjahr, Baden für das 16. Lebensjahr, das Preußische Allgemeine Landrecht und Hannover für das 14. Lebensjahr. Württemberg unterschied zwischen Knaben (16. Lebensjahr) und Mädchen (14. Lebensjahr).

Die Religionsmündigkeit beinhaltet sowohl das Recht, aus der bisherigen Gemeinschaft oder Konfession auszutreten, als auch das Recht zu konvertieren. Mit Eintritt der Religionsmündigkeit kann der Jugendliche auch eigenverantwortlich entscheiden, ob er am Religionsunterricht teilnehmen möchte. Allerdings besteht darüber juristischer Streit, zumindest in Bayern und im Saarland: Die Verfassungen beider Länder sehen vor, dass Eltern bis zum 18. Lebensjahr entscheiden dürfen, ob ihre Kinder den Religionsunterricht besuchen. Dies widerspricht der Regelung zur Religionsmündigkeit auf Bundesebene.


Quelle:
KNA