DOMRADIO.DE: Wieso müssen Hatespeech und Co. im Netz reguliert werden? Warum reguliert sich das Netz da nicht von selbst?
Andreas Büsch (Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der deutschen Bischofskonferenz an der Katholischen Hochschule Mainz): Das Problem ist, dass das Netz ja ökonomisch gesehen auch so etwas wie ein Markt ist. Dieser Markt ist, gelinde gesagt, außer Kontrolle geraten. Wir haben es bei den Big Five aus dem Silicon Valley - also Google, Amazon, Facebook (jetzt in Meta umbenannt), Apple und Microsoft - mit fünf Konzernen zu tun, die durch ihre schiere Größe und Marktmacht die Spielregeln längst selbst bestimmen. Frances Haugen, die Whistleblowerin und ehemalige Facebook-Mitarbeiterin, hat ja Ende letzten Jahres sehr deutlich gemacht, mit welchen Tricks da gearbeitet wird und wie mit Regulierungen umgangen wird. Das ist letztlich das Problem.
Die großen Plattformen haben ganz lange gesagt: "Was unsere Nutzer da machen, was sie posten, das geht uns gar nichts an. Wir bieten ja nur eine Möglichkeit, das zu veröffentlichen." Nun ist es aber eben so, dass sie nicht wie ein schwarzes Brett funktionieren, wo jeder seine Nachrichten hinhängen darf, sondern im Hintergrund arbeiten Algorithmen, die Sachen nach vorne spülen, von denen der Algorithmus denkt, dass sie mich vermutlich interessieren. Da fangen die Probleme an, weil natürlich dann die Sachen trenden, die irgendwie emotionalisieren, die zur Aufregung gehören. Das verstärkt in der Logik von sozialen Netzen Hass und Hetze. Wenn wir dann bis hin zu Mordaufrufen kommen, denke ich, ist da wirklich etwas nicht in Ordnung. Da muss dringend reguliert werden.
DOMRADIO.DE: Hat die katholische Kirche da auch eine klare Position?
Büsch: Definitiv. Die Publizistische Kommission hat sich wiederholt zu den Themen geäußert, zuletzt in einem Thesenpapier, das Ende 2020 veröffentlicht wurde. Da ging es um die Fragen von Künstlicher Intelligenz und Digitalität unter dem Titel "Technik im Dienst des geistbegabten, selbstbewussten Menschen". Darin heißt es in einer These, für die politische Sicherung so verstandener Menschenwürde braucht es europäische und weltweite multilaterale Kooperationen, die Rücksicht auf lokale Gegebenheiten nehmen. Also ganz klare Aufforderungen, da auch eine gesetzliche Regulierung zu schaffen.
DOMRADIO.DE: Da kann ich nur folgern, dass Sie so ein Grundgesetz für das Internet durchaus begrüßen. Wie müsste das in Ihren Augen aussehen?
Büsch: Ich begrüße es schon sehr. Aber, zum einen müssten wir das, was die Ökonomen als Marktversagen bezeichnen, grundsätzlich regulieren. Und da ist eben die spannende Frage, ob dieser Digital Services Act - das ist ja das Zwillingsgeschwisterchen vom Digital Markets Act, der im letzten Jahr schon beraten wurde - ob das wirklich ausreicht oder ob wir da nicht versuchen, Nägel mit Schraubenziehern einzuschlagen, wie es ein Kommentator einer großen Zeitung vorletzte Woche geschrieben hat.
Wenn Unternehmen wie Google sich nachhaltig weigern können, Urhebern wie Presseverlegern eine faire Vergütung zu zahlen, weil sie sagen: Wenn ihr euer Material nicht zur Verfügung stellt, dann kommt ihr nicht mehr vor", dann ist, glaube ich, eine grundsätzliche Marktregulierung fällig. Zum Zweiten denke ich, so eine gesetzliche Regelung ist immer nur die eine Hälfte der Wahrheit.
Es geht in diesem Gesetz ja auch um sogenannte Dark Patterns, also Design Tricks, mit denen Netznutzerinnen und -nutzer in die Irre geführt werden wollen. Wir haben die Datenschutzgrundverordnung. Sie und ich müssen informiert zustimmen, bevor ein Unternehmen Cookies bei uns auf dem Rechner platzieren darf. Und sie werden das alle kennen. Da gibt es teilweise Click-Orgien, wo ich gar nicht mehr weiß, wo ich noch nein sagen muss, bis ich dann endlich die Entscheidung bekomme, die ich eigentlich haben will. Das heißt, ich brauche neben dieser gesetzlichen Regulierung eigentlich immer auch informierte Nutzerinnen und Nutzer. Damit sind wir bei dem zweiten Thema Medienbildung. Und deswegen gefällt mir die kirchliche Position so gut, weil das da seit vielen Jahren auch eine Rolle spielt.
DOMRADIO.DE: Also sie sagen, Regulierung alleine reicht nicht. Wir brauchen auch mehr Bildung.
Büsch: Definitiv. Wir können es auch frei nach Jaron Lanier zitieren: "Wenn du nicht für eine Dienstleistung zahlst, dann zahlst du mit Daten und dann bist du irgendwann nicht mehr das Subjekt der Digitalisierung, sondern ein Produkt." Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Es ist eine Abwägung: Welche Dienste nutze ich und was lasse ich besser? Und wo bin ich auch mal bereit, Geld in die Hand zu nehmen? Und wo gibt es zu den großen bekannten Diensten vielleicht auch Alternativen? Da freue ich mich durchaus, dass gerade in den letzten zwei Jahren, sicherlich durch den Digitalisierungsschub durch die Pandemie bedingt, Etliches gewachsen und neu entwickelt wurde. So dass ich eben auch europäische oder sogar deutsche Alternativen nutzen kann, bis hin zu Suchmaschinen, von denen es ja auch andere gibt, die weniger Daten von mir abgreifen.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, dass vor diesem Hintergrund die katholische Kirche tatsächlich ihren Einfluss geltend machen kann und als Vorreiterin vorangehen könnte, wo sie ja jetzt eher digital oft hinterherhinkt.
Büsch: Absolut sollte sie das. Ein "Nein" würde schon bedeuten, dass ich erkläre, dass meine Stelle überflüssig sei. Es geht uns ja gerade darum, als Kirche auch in Gesellschaft hineinzuwirken, möglichst mit einer Vorbildrolle, indem wir uns mit säkularen Anbietern, Kräften, Akteuren zusammenschließen. Auf dass es irgendwann eine möglichst menschenwürdige Gesellschaft wird, gerade in Zeiten solcher massiven Veränderungen, wie sie unter der Chiffre Digitalität oder Digitalisierung verhandelt werden.
Das Interview führte Hilde Regeniter.