DOMRADIO.DE: Wie haben Sie den Kardinal heute Vormittag erlebt, wie hat er auf Sie gewirkt bei dieser Pressekonferenz?
Rainer Maria Schießler (Pfarrer in St. Maximilian, München): Ich habe die Pressekonferenz nicht live gesehen. Ich habe zeitgleich eine größere Beerdigung vollzogen. Im Nachhinein habe ich sie mir im Internet angeschaut.
Ich meine, man muss ehrlich sagen, Kardinal Marx sitzt schon auf einem heißen Stuhl. Man muss natürlich genau Obacht geben, welche Worte man wählt. Vor allem dann, wenn es um Personen geht. Man hat ihn sehr bedächtig erlebt, sehr vorsichtig. Man ist ihn vielleicht von früher anders gewohnt. Wir kennen ihn ja als wortgewaltigen und medienaffinen Kirchenmann, aber heute war er sehr vorsichtig.
Und man hat gemerkt, dass wir wirklich bis oben hin in einem Lernprozess sind. Ich glaube, das ist etwas ganz Neues, was sich jetzt auftut. Er hat es selber angesprochen, dass wir in einem Prozess der Veränderung drin sind, wo wir auch nicht mehr zurück können. Und das ist gut so. Das muss man immer wieder betonen.
DOMRADIO.DE: Jetzt war von einigen auch erwartet worden, dass Kardinal Marx erneut dem Papst seinen Rücktritt als Erzbischof anbietet, um vielleicht auch diese Erneuerung möglich zu machen, von der Sie gesprochen haben. Hat er das denn getan heute, in irgendeiner Form?
Schießler: Er hat es so deutlich gemacht, dass er gesagt hat, dass er den Rücktritt bereits in der Vergangenheit angeboten hatte. Er würde gerne diesen Reformprozess weiter gestalten und begleiten, wenn es erwünscht ist. Das Angebot, auf Deutsch gesagt, geht nach Rom. Der Papst weiß es, er muss es in dieser Form nicht mehr wiederholen. Aber wenn er wirklich gebraucht wird, ist er mit dabei. Das war eine sehr diplomatisch, konziliante Lösung. Da muss ich mal zustimmen. Ein Rücktritt hilft jetzt auch nicht weiter. Ich brauche Gestalter und nicht Flüchtige.
DOMRADIO.DE: Er hat ja auch gesagt, er klebe jetzt nicht an seinem Amt. Kommt das bei Ihnen gut an?
Schießler: Absolut. Das unterscheidet ihn von so manchem Politiker, oder?
DOMRADIO.DE: Kardinal Marx hat eben auch gesagt, er übernehme Verantwortung, wie Sie gerade gesagt haben. Er hat sich aber eben auch bei den Betroffenen entschuldigt. Reicht das denn aus, eine Entschuldigung? Das sind für viele leere Worte.
Schießler: Annette Schavan hat dabei den Begriff geprägt: Insolvenzrhetorik. Wir müssen vorsichtig sein mit den öffentlichen Entschuldigungsritualen, dass sie nicht überhand nehmen. Irgendwann will es ja keiner mehr hören, sondern die Leute wollen natürlich jetzt Taten sehen. Die wollen Bewegung haben, die wollen Ergebnisse sehen.
Er hat ja diesen wichtigen Dreischritt zusammengefasst, nämlich Aufarbeitung, nämlich Prävention, also zurückschauen und nach vorne schauen und verhindern, dass das Geschehene ja nicht wieder passiert. Und was jetzt ganz wichtig ist, die nötige Reform, und zwar an Haupt und Gliedern, wenn ich so sagen darf. Die strukturelle Reform und die Reform der Theologie, allen voran, welche Sexualmoral Kirche verkündet und so weiter. Und dann hat er damit eigentlich auf den Synodalen Weg verwiesen, was sehr wichtig ist.
Synodale Kirche zu sein heißt miteinander reden, miteinander zuhören, aufeinander hören und nicht übereinander. Und da hat er den Ball eigentlich nach Rom geschickt und das war wichtig. Und dann hat er den Satz gesagt, den er seit Jahren schon sagt, wir sind auch Kirche hier.
DOMRADIO.DE: Dann lassen Sie uns aber noch mal eben die Perspektive wechseln. Sie sprechen jetzt über Rom. Sie sprechen auch jetzt über Kardinal Marx als Ihren Erzbischof in München und Freising. Das Beben in der Kirche ist aber so enorm, dass es ja auch die Basis erreicht. Und vor allem steckt die Kirche da in einer enormen Krise. Was sind denn die Lösungen, die angeboten werden? Was muss passieren, damit die Kirche eben nicht all ihre Gläubigen verliert?
Schießler: Ja, dass man auf die Gläubigen zugeht und davon weggeht, dass man ihnen nachläuft. Das ist auch ein Kredo, das ich seit ewigen Zeiten vertrete, dass man mit ihnen unbedingt synodal umgeht, dass man mit ihnen ins Gespräch kommt, dass man auf sie hört und von ihnen wissen will: Wieso geht ihr? Wieso wollt ihr nicht mitgestalten? Warum wollt ihr mit uns nicht diese neue Kirche aufbauen?
Wir müssen jetzt ganz, ganz demütig werden. Wir müssen uns jetzt ganz, ganz klein machen und nicht nur weil Verbrechen geschehen sind. Es ist schlimm genug. Sondern weil wir die Menschen überzeugen müssen, dass eine Kirche nur dann Zukunft hat, wenn sie konstruktiv mit aufgebaut wird. Und zwar von allen, die bereit sind mitzumachen. Weggehen ist kein Beitrag zur Aufarbeitung.