Das Dokument wurde am Dienstag zusammen mit einer Stellungnahme des emeritierten Papstes (2005-2013) veröffentlicht.
Anschuldigungen in vier Punkten zurückgewiesen
Bei vier Punkten des Ende Januar veröffentlichten Berichts der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) weisen die Experten Anschuldigungen gegen den früheren Münchner Erzbischof und Papst zurück. Am 20. Januar hatte die Kanzlei das Gutachten über den Umgang mit Missbrauch im Erzbistum München-Freisung von 1945 bis 2019 veröffentlicht. Darin ging es auch um die Zeit von Erzbischof Joseph Ratzinger (1977-1982) und eine Befragung des Papst-Emeritus in dem Gutachten.
Zu dessen Beraterteam gehören der in Rom lehrende Kirchenrechtler Stefan Mückl, der frühere Münchner Kirchenrechtsprofessor Helmuth Pree, Kirchenrechtler Stefan Korta aus Buchloe und der Kölner Rechtsanwalt Carsten Brennecke. In ihrer Stellungnahme erklären die vier auch, wie es in der Einlassung für das Gutachten zu der falschen Aussage gekommen sei, Ratzinger habe an einer wichtigen Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 nicht teilgenommen.
Mückl habe die 8.000 digitalisierten Aktenseiten zur Einsicht aufbereitet. In einem weiteren Arbeitsschritt sei Korta der unbemerkte Übertragungsfehler unterlaufen. "Diese irrtümliche fehlerhafte Eingabe der Abwesenheit ist den Mitarbeitern nicht aufgefallen", heißt es. Diesen Übertragungsfehler dürfe "man Benedikt XVI. nicht als bewusste Falschaussage oder 'Lüge' anlasten".
Mit Bezug auf den meistdiskutierten Fall schreibt das Beraterteam, Ratzinger habe weder Kenntnis davon gehabt, "dass Priester X. ein Missbrauchstäter ist, noch dass dieser in der Seelsorge eingesetzt wird". Laut Aktenlage sei in der betreffenden Sitzung nicht entschieden worden, "dass ein Missbrauchstäter in der Seelsorge eingesetzt wird".
Im Übrigen präsentiere das vom Erzbistum München beauftragte Gutachten der Kanzlei WSW keine Beweise dafür, dass in den untersuchten Fällen "Joseph Ratzinger Kenntnis von Taten oder vom Tatverdacht sexuellen Missbrauchs der Priester" gehabt habe.
Exhibitionismus nicht verharmlost
Zudem weisen die Experten die Behauptung zurück, Benedikt XVI. habe in seiner Einlassung Exhibitionismus verharmlost. Vielmehr habe er in aller Deutlichkeit gesagt, "dass die Missbrauchstaten, einschließlich des Exhibitionismus, 'furchtbar', 'sündhaft', 'moralisch verwerflich' und 'nicht wieder gut zu machen' sind".
In der Stellungnahme für das WSW-Gutachten habe man "lediglich in der kirchenrechtlichen Bewertung geäußert, dass es sich nach dem damals geltenden Recht (...) bei Exhibitionismus nicht um eine kirchenrechtliche Straftat handelte, da die einschlägige Strafvorschrift derartige Verhaltensweisen tatbestandlich nicht erfasste".
Die Stellungnahme der Berater Benedikts XVI. zum Münchner Gutachten in der Übersicht
Das Team aus vier Rechtsexperten, das den emeritierten Papst Benedikt XVI. für das Münchner Missbrauchsgutachten beriet, hat eine eigene Stellungnahme veröffentlicht. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert diese leicht gekürzt:
"Faktencheck der Mitarbeiter von Benedikt XVI."
Behauptet wird: Kardinal Joseph Ratzinger habe den Priester X. Anfang 1980 in Kenntnis seiner Missbrauchstaten in der Seelsorge eingesetzt und damit dessen sexuelle Missbrauchstaten vertuscht.
Begründung: Joseph Ratzinger war entgegen seiner Angabe in der Stellungnahme gegenüber den Gutachtern in der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 anwesend, in der über den Priester gesprochen wurde.
Das ist falsch. Richtig ist:
Joseph Ratzinger hatte weder Kenntnis davon, dass Priester X. ein Missbrauchstäter ist, noch dass dieser in der Seelsorge eingesetzt wird.
Die Akten zeigen, dass in der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 nicht über einen seelsorgerlichen Einsatz des Priesters X. entschieden wurde.
Die Akten zeigen auch, dass in der fraglichen Sitzung nicht thematisiert wurde, dass der Priester sexuellen Missbrauch begangen hat.
Es ging ausschließlich um die Unterbringung des jungen Priesters X., weil er sich in München einer Therapie unterziehen sollte. Diesem Anliegen wurde entsprochen. Der Grund der Therapie wurde in der Sitzung nicht benannt.
In der Sitzung wurde somit nicht entschieden, dass ein Missbrauchstäter in der Seelsorge eingesetzt wird.
Behauptet wird: Benedikt XVI. habe zu seiner Anwesenheit in der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 bewusst falsch ausgesagt, er habe gelogen.
Das ist falsch. Richtig ist: Die Darstellung in der Stellungnahme von Benedikt XVI., er habe an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 nicht teilgenommen, war zwar falsch. Dennoch hat Benedikt XVI. nicht gelogen oder bewusst falsch ausgesagt:
Benedikt XVI. wurde bei der Abfassung der Stellungnahme von einem Mitarbeiterteam unterstützt. (...) Die Mitarbeiter wurden hinzugezogen, weil Benedikt XVI. die Menge der Fragen in der Kürze der Zeit nicht alleine bearbeiten konnte und die mit dem Gutachten beauftragte Kanzlei Fragen mit kirchenrechtlichem Bezug gestellt hat, so dass für eine Antwort eine kirchenrechtliche Einordnung erforderlich war.
Ausschließlich Prof. Mückl wurde die elektronische Akteneinsicht gewährt, ohne dass die Möglichkeit bestand, Dokumente zu speichern, auszudrucken oder zu kopieren. Kein anderer der Mitarbeiter konnte die Akten einsehen. Nachdem die Daten der Akteneinsicht (8.000 Seiten) durch Prof. Mückl aufbereitet waren, unterlief Herrn Dr. Korta in einem der weiteren Arbeitsschritte ein unbemerkter Übertragungsfehler. Dr. Korta hielt irrtümlich fest, dass Joseph Ratzinger bei der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 abwesend war.
Diese irrtümliche fehlerhafte Eingabe der Abwesenheit ist den Mitarbeitern nicht aufgefallen. Sie haben sich auf die irrtümlich fehlerhafte Angabe verlassen und bei Benedikt XVI. nicht aktiv abgefragt, ob er an dieser Sitzung anwesend war. (...) Benedikt XVI. hat diesen Fehler aufgrund des hohen Zeitdrucks, unter dem seine Überprüfung der Stellungnahme in wenigen Tagen wegen enger Fristsetzung der Gutachter notwendig war, nicht erkannt, sondern sich auf die vermeintliche schriftliche Protokollierung seiner Abwesenheit verlassen.
Diesen Übertragungsfehler kann man Benedikt XVI. nicht als bewusste Falschaussage oder 'Lüge' anlasten.
Es hätte auch keinen Sinn ergeben, dass Benedikt XVI. absichtlich seine Anwesenheit bei der Sitzung leugnet: Denn im Protokoll der Sitzung wurden Äußerungen von Joseph Ratzinger protokolliert. Die Anwesenheit von Joseph Ratzinger war damit offensichtlich. (...)
Behauptet wird: Außerdem belastet das Gutachten Benedikt XVI. in drei weiteren Fällen mit einem Fehlverhalten. Denn er habe auch in diesen Fällen Kenntnis davon gehabt, dass die Priester Missbrauchstäter sind.
Das ist falsch. Richtig ist: In keinem der Fälle, die das Gutachten untersucht, hatte Joseph Ratzinger Kenntnis von Taten oder vom Tatverdacht sexuellen Missbrauchs der Priester. Das Gutachten präsentiert keine Beweise dafür, dass es sich anders verhält.
Zum öffentlich diskutierten Fall des Priesters X., dessen Unterbringung für eine Therapie in der Ordinariatssitzung 1980 besprochen wurde, hat selbst einer der Gutachter in der Pressekonferenz vom 20.01.2022 zur Vorstellung des Missbrauchsgutachtens bestätigt, dass es keinen Beweis für eine Kenntnis von Joseph Ratzinger gibt: Auf Nachfrage einer Journalistin, ob die Gutachter beweisen könnten, dass Joseph Ratzinger Kenntnis davon gehabt hat, dass der Priester X. sexuellen Missbrauch begangen hat, stellte der Gutachter klar, dass es keinen Beweis für eine Kenntnis von Joseph Ratzinger gibt. Das sei nur nach der subjektiven Meinung der Gutachter "überwiegend wahrscheinlich". (...)
Das Gutachten enthält keinen Beweis für einen Vorwurf des Fehlverhaltens oder der Mithilfe bei einer Vertuschung. Als Erzbischof war Kardinal Ratzinger nicht an einer Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt.
Behauptet wird: Benedikt XVI. habe in der Stellungnahme exhibitionistische Handlungen verharmlost. Als Beleg dafür dient diese Angabe in der Stellungnahme: 'Pfarrer X ist als Exhibitionist aufgefallen, aber nicht als Missbrauchstäter im eigentlichen Sinn.'
Das ist falsch. Richtig ist: Benedikt XVI. hat in der Stellungnahme Exhibitionismus nicht verharmlost, sondern ausdrücklich verurteilt. Der Satz, der als vermeintlicher Beleg für eine Verharmlosung des Exhibitionismus dient, ist aus dem Zusammenhang gerissen.
Benedikt XVI. sagt in der Stellungnahme in aller Deutlichkeit, dass die Missbrauchstaten, einschließlich des Exhibitionismus, 'furchtbar', 'sündhaft', 'moralisch verwerflich' und 'nicht wieder gut zu machen' sind. Es wurde lediglich in der kirchenrechtlichen Bewertung geäußert, dass es sich nach dem damals geltenden Recht nach Einschätzung der kirchenrechtlichen Mitarbeiter bei Exhibitionismus nicht um eine kirchenrechtliche Straftat handelte, da die einschlägige Strafvorschrift derartige Verhaltensweisen tatbestandlich nicht erfasste.
Damit hat die Stellungnahme von Benedikt XVI. Exhibitionismus nicht verharmlost, sondern klar und deutlich verurteilt. (...)
Prof. Dr. Dr. Stefan Mückl (Rom) (Kirchenrecht)
Prof. i. R. Dr. Dr. Mag. Helmuth Pree (LMU München) (Kirchenrecht)
Dr. Stefan Korta (Buchloe) (Kirchenrecht)
Rechtsanwalt Dr. Carsten Brennecke (Köln) (Äußerungsrecht)"