Karneval in sogenannten Brauchtumszonen zu feiern, stellt dem Karnevalsforscher Wolfgang Oelsner zufolge keinen Widerspruch dar. "Das Narrenspiel setzt zwar anarchische Impulse, ist aber auch vor der Pandemie schon ein Spiel innerhalb bestimmter Grenzen und ein Spiel auf Zeit gewesen", sagte der Psychologe am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Um dieses Spiel zu ermöglichen, seien in diesem Jahr nun angepasste Spielregeln gefunden worden. "Nach dieser närrischen Zeit will man ja gesund und munter weiterleben."
Am Montag hatte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sich mit den Karnevalshochburgen Köln, Bonn, Düsseldorf und Aachen auf räumlich abgegrenzte Brauchtumsgebiete geeinigt, in denen Karneval unter strengeren Schutzmaßnahmen gefeiert werden darf. Die genaueren Details will das Land noch erarbeiten und in einer aktualisierten Corona-Schutzverordnung veröffentlichen. Die Rosenmontagszüge wurden bereits Ende 2021 abgesagt oder verschoben.
Oelsner erklärte, dass es die Möglichkeit für "kleine närrische Enklaven innerhalb des Systems" gebe, werde positiv aufgenommen. Die Menschen im Rheinland seien sehr enttäuscht über die Absage des Sitzungskarnevals und der Rosenmontagszüge gewesen.
Trotz aller Enttäuschung sehe er bei den Karnevalsvereinen auch eine große Diszipliniertheit, erklärte der Karnevalsbeobachter: "Die Menschen nehmen die Situation mit kreativem Trotz an und gucken, was dennoch geht." Zudem stehe es allen Jecken frei, im eigenen kleinen Kreis Karneval zu feiern. "Das muss ja nicht auf gesundheitsgefährdende Art und Weise sein."
Oelsner erklärte zudem, die kommenden Jahre würden zeigen, welche Veränderungen der Karneval durch die Pandemie erfahren wird. Das Brauchtum werde überwiegend auf ehrenamtlicher Basis gepflegt und gehe weit über einzelne Events hinaus, erläuterte Oelsner. Das habe kommerziellen Anbietern erst ermöglicht, Geld mit dem Karneval zu verdienen. "Im Gegenzug erhöhen kommerzieller Partner den Glanz und die Ausstrahlung dieser Brauchkultur." Diese Balance gerate nun durch die kommerziellen Karnevalssitzungen in Unwucht, die ein großer Kostümhändler in Köln veranstaltet, mahnte Oelsner. Die Karnevalsvereine selbst hatten sich im Dezember mit der Landesregierung darauf geeinigt, den traditionellen Sitzungskarneval wegen der hohen Zahl der Corona-Infektionen abzusagen.
"Das ist in einem Jahr sicherlich zu verkraften und keine Erschütterung in den Grundfesten", erklärte der Karnevalsforscher. Wenn die Entwicklung des Karnevals aber auch längerfristig in diese Richtung gehe, gerate die soziale und die integrative Funktion des Brauchtums in Gefahr. "Kommerzielle Anbieter unterhalten keinen Spielmannszug, keine Trainer, keine Kindergruppen und auch keinen Seniorennachmittag", sagte Oelsner.