DOMRADIO.DE: Was verbirgt sich hinter Ihrem Netzwerk zur künstlichen Intelligenz (KI)?
Dr. Anna Puzio (Theologin, Philosophin, Ethikerin): Meine Kolleginnen und Kollegen und ich, wir sind ein größeres Gründungsteam von mehreren Universitätsstandorten in ganz Deutschland, ursprünglich Bonn, Berlin, Bochum, Münster, München, das in den letzten Jahren stetig gewachsen ist. Wir haben das Netzwerk gegründet, um die Auseinandersetzung der Theologie mit KI zu fördern. Das heißt, wir beschäftigen uns thematisch rund um Theologie, auch Medien, Digitalisierung, Robotik.
Wir richten uns an verschiedene theologische Disziplinen, suchen das Gespräch mit den Natur- und Technikwissenschaften und streben dabei an, interreligiös und ökumenisch ausgerichtet zu sein und haben auch einige Forscher aus dem internationalen Raum bereits eingebracht.
DOMRADIO.DE: KI ist ein wichtiges Thema auch der Theologie. Wieso?
Puzio: Die menschliche Lebenswirklichkeit ist inzwischen grundlegend von KI und Technik geprägt. Theologie und Religion haben den Anspruch, an diese menschliche Lebenswirklichkeit anzuknüpfen, an das, was die Menschen heute beschäftigt, was die Leben heute prägt. Technik begleitet uns durch den ganzen Tag. Es ist also nicht nur ein Zukunftsthema, es ist bereits ein brisantes Thema der Gegenwart, das schon heute Gesellschaft gestaltet. KI verändert, wie wir den Menschen verstehen können, verändert unsere Beziehungen, verändert Kommunikation, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Und bei der Entwicklung von Technologien und ihrem Einsatz gibt es großen Bedarf nach ethischen Leitlinien. Wie lassen sich Diskriminierung vermeiden? Wie kann Diversity gefördert werden? Wie kann ein gerechter Zugang zu Technologien ermöglicht werden?
DOMRADIO.DE: Könnte man sagen, dass KI etwas von Gott Geschaffenes ist? Also schließlich hat Gott uns Menschen geschaffen und wir wiederum haben ja die KI erst möglich gemacht.
Puzio: Interessante Frage: Wo zieht man hier die Grenze und was ist Teil der Schöpfung und was nicht? Tiere ja, aber alle Lebewesen? Was ist mit für uns gefährlichen Viren, Bakterien, was ist Leben?
Die Frage ist, inwiefern das konkret für uns relevant ist oder was man daraus konkret für die Ethik ableitet. Eine der grundlegenden Botschaften der Schöpfungsgeschichte ist zum Beispiel die Sorge um die Mitwelt. Das würde bedeuten, verantwortungsvoll technologische Prozesse auch mitzugestalten.
Wie können Technologien dazu beitragen, den Blick auf Mitmenschen oder auch die Themen wie Technik und Nachhaltigkeit zu richten? Wichtig ist hier der Autonomiegedanke, denn wir Menschen haben die Verantwortung, Technik nach unseren Werten mitzugestalten.
DOMRADIO.DE: Vor einiger Zeit hat dieser Segensroboter "BlessU2" für Aufsehen gesorgt. Was meinen Sie, ist es denkbar, dass in Zukunft menschliche Seelsorger durch diese KI ersetzt werden könnten?
Puzio: Ich kann keine Prognose treffen, was in der Zukunft passieren wird. Ist es vielmehr eine ethische Frage: Wollen wir, dass Roboter Seelsorger ersetzen? Zum Forschungsstand heute: Die soziale Interaktion mit Robotern sind lange noch nicht ausgereift. Das merkt man an vielen Sprachassistenten. Die Kommunikation läuft hier noch unzureichend.
Wenn sich Theologie aber mit Technik und KI auseinandersetzt, dann wird sie herausfinden, was ein Seelsorger kann, was ein Roboter nicht kann und was wiederum ein Roboter kann und ein Seelsorger vielleicht nicht kann. Und durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Themen und mehr Forschung dazu kann Theologie ihr eigenes Profil auch weiter herausarbeiten.
Worin unterscheiden sich Menschen und Maschinen? Was macht das theologische Profil aus? Ich denke, dass die Theologie sehr viel davon profitieren kann durch solche Technologien, indem sie Erkenntnisse über diese Beziehung zu Robotern gewinnt.
DOMRADIO.DE: Könnte sich denn so ein Segensroboter rein theoretisch auch gegen die Menschen stellen und sagen: "Dir gebe ich den Segen jetzt nicht"?
Puzio: Problematisch ist vor allem diese Polarisierung in der Gesellschaft.
Das sieht man schon in der Buchhandlung und damit einhergehen, nämlich auch der Vorstellung, dass Technik uns kontrollieren wird, wir ein Kontrollproblem bekommen. Technik wird zum mächtigen, fast personalisierten Gegenüber stilisiert, dem der Mensch hilflos ausgeliefert ist. Hier braucht es mehr Aufklärung, wie Technologien überhaupt funktionieren, um tatsächlich einschätzen zu können, was Technik kann.
Andererseits ist der Autonomiegedanke ein sehr wichtiger, das Bewusstsein dafür wach zu halten, dass wir es sind, die diese Technologien konstruieren und verantworten. Also ob jetzt ein Segensroboter Segen verweigert: Es ist eine Maschine, die funktioniert nach den Regeln und Anweisungen, die Menschen in sie einprogrammiert haben. Und nach diesen Anweisungen kann sie verweigern oder eben nicht verweigern.
DOMRADIO.DE: Wäre der Segen denn dann verbindlich? Ist das dann theologisch korrekt?
Puzio: Eine offizielle Meinung hat es dazu noch nicht gegeben. Ich denke, man kann in beide Seiten, in beide Richtungen argumentieren. Es gibt zu diesem Thema bislang auch kaum theologische Forschung. Es werden sich Vor- und Nachteile herauskristallisieren. Und es wird auch hilfreich sein für die Theologie, wenn sie Roboter verwendet, vielleicht auch empirisch mehr Erkenntnisse zu sammeln über den Umgang mit solchen Robotern oder was Segen zum Beispiel für Menschen heute bedeutet, wie Segen verändert werden kann, wo die Bedürfnisse der Menschen heute liegen, die wahrscheinlich anders sind als vor vielen Jahren.
DOMRADIO.DE: Hat KI eine Seele oder könnte KI eine Seele entwickeln?
Puzio: Um das wissenschaftlich zu beantworten, muss man zuerst definieren, was eine Seele ist. In der Philosophie wird eine ähnliche, wenn auch andere Debatte zu Geist und Bewusstsein geführt. Können Maschinen Bewusstsein entwickeln? Und auch hier stehen wir wieder vor dem Problem, dass die Philosophie schon seit langer, langer Zeit beschäftigt. Was ist Bewusstsein oder wie entsteht Bewusstsein?
Das gehört bislang zu den ungelösten Rätseln des Menschen. Für die gesellschaftliche Entwicklung erscheint mir jedoch die ethische Auseinandersetzung mit der konkreten Technologie, konkret zu schauen, wie wir sie verantwortungsvoll entwickeln und einsetzen können, wichtig.
DOMRADIO.DE: Alexa, Google und Co. begleiten ja mittlerweile viele durch den Alltag. Liegt da die Zukunft der Kirche?
Puzio: Ja, auf jeden Fall. Es gibt aber schon zahlreiche Angebote, was spirituelle Angebote, Gebetskreise, Apps, Seelsorge, Austausch über Internet angeht. Aber die Kirche hängt diesbezüglich noch weit hinterher. Kirche muss zum Beispiel nicht nur ihre Position in eine Richtung kommunizieren und ihre Texte durch KI vorlesen lassen, sondern konkret das Gespräch suchen, Antworten zulassen, für Interaktion mit den Menschen sorgen.
Und dazu braucht sie drei Dinge: Sie braucht mehr Offenheit, sie braucht Mut und Kreativität, neue Dinge auszuprobieren. Das heißt konkret, Kirche muss auf Tiktok und Instagram vertreten sein. Kirche muss Influencerin werden. Denn hier teilen Menschen heutige Lebensereignisse. Sie teilen Freude und Trauer, stehen für ihre Position ein und starten Kampagnen für Dinge, die ihnen wichtig sind.
Und so kann Social Media auch als Einladung für die Kirche verstanden werden, an der Lebenswirklichkeit der Menschen heute wieder neu anzuknüpfen. Außerdem finden sich die meisten jungen Menschen heute nicht mehr in der Kirche. Kirchen können also nun an die Orte kommen, wo die jungen Menschen heute sind. Und deren Leben spielt sich nun mal zum großen Teil heute auf Social Media ab.
Das Interview führte Oliver Kelch.