Philosoph sieht im Kreuz eine besondere Schönheit

Symbol für die Güte Gottes?

Es ist eigentlich ein furchtbares Folterwerkzeug, das aber schon lange für das Christentum steht. Das Kreuz sieht man nicht nur in Kirchen, sondern als Kunstgegenstand im Museum oder gar als Schmuck. Kann das Kreuz etwa schön sein?

Berg der Kreuze in Litauen / © Simon Koy (KNA)
Berg der Kreuze in Litauen / © Simon Koy ( KNA )

DOMRADIO.DE: Herr Zaborowski, am Dienstag halten Sie im Kölner Domforum einen Vortrag über das Kreuz mit dem Titel: "Skandal. Horizont. Erlösung. Von der Schönheit des Kreuzes“. Was ist denn am Kreuz schön?

Holger Zaborowski  / © privat (DR)
Holger Zaborowski / © privat ( DR )

Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski (Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt): Auf der einen Seite nehmen wir das Kreuz oft wie einen Museumsgegenstand wahr oder wie ein Objekt der Kunstgeschichte, der Kulturgeschichte, etwa in Kirchen, im öffentlichen Raum oder tatsächlich in Museen. Und dann schauen wir auf das Kreuz und sagen: "Oh, das ist aber schön gearbeitet und ein schönes gotisches Kreuz, das bestimmten Schönheitsansprüchen genügt".

Wenn man aber etwas weiter drüber nachdenkt, stellt man fest, dass der Begriff der Schönheit hier ja einer Modifikation bedarf, etwas näher erläutert werden muss. Denn wir sagen ja über ein Folterinstrument, an dem sehr oft Christus, der Gefolterte, dargestellt ist in seinem Leid und seiner Qualen, es sei schön.

Und die Frage, die ich am Dienstag aufwerfen möchte, lautet: Was heißt denn eigentlich Schönheit in diesem Zusammenhang? Kann man eigentlich von der Schönheit des Kreuzes sprechen? Oder ist das nur möglich, wenn ich von der eigentlichen religiösen Bedeutung, auch der historischen Betrachtung so weit absehe, dass ich das Kreuz nur noch als Museumsgegenstand wahrnehme?

DOMRADIO.DE: Jetzt wollen wir Ihrem Vortrag natürlich nicht vorgreifen. Dennoch brennt die Frage unter den Nägeln: Wie wird denn Ihr persönliches Urteil ausfallen? Ist das Kreuz schön? Kann man von Schönheit des Kreuzes sprechen?

Holger Zaborowski, Philosoph

"Ich glaube, dass gerade im Kreuz und gerade im Christentum sich ein ganz anderes Verständnis von Schönheit zeigt, nämlich Schönheit als das, was mich berührt, was mich herausfordert."

Zaborowski: Auf jeden Fall. Man muss dann aber den Begriff der Schönheit noch ein wenig ändern. Wir verstehen ja heute oft unter "schön", was uns Wohlgefallen erzeugt. Also, ein schönes Essen, das irgendwie unsere Sinne befriedigt oder was uns gefällt; ein schöner Film oder ein schöner Sonnenuntergang. In dem Sinne kann man eigentlich von der Schönheit des Kreuzes nur auf einer ersten Ebene sprechen, wenn man tatsächlich sagt, man schaut sich mal ein Kreuz aus der Perspektive der Kunstwissenschaft oder einer bestimmten ästhetischen Darstellung an. Das ist ja übrigens ein Phänomen, das sich auch zeigt, wenn wir eine Matthäus-Passion, von Bach zum Beispiel, hören.

Kreuzanhänger an einer Halskette / © Skylines (shutterstock)
Kreuzanhänger an einer Halskette / © Skylines ( shutterstock )

Wenn man tiefer darüber nachdenkt, merkt man, dass es eigentlich einen anderen Begriff von Schönheit gibt. Und diesem Begriff bin ich auf der Spur.

Ich glaube, dass sich gerade im Kreuz und gerade im Christentum auch noch einmal ein ganz anderes Verständnis von Schönheit zeigt, nämlich Schönheit als das, was mich berührt, was mich herausfordert, was mich in Anspruch nimmt, was mich auch sprachlos zurücklässt, was mich überwältigen kann, erschüttern kann.

Das ist ja auch eine Erfahrung, die wir manchmal mit dem Schönen machen. Das ist dann nicht nur das, was mir Wohlgefallen erzeugt, sondern was mich vielleicht sogar richtet, dass einen Blick auf mich wirft, bei dem ich merke, ich bin eigentlich gar nicht so, wie ich sein soll. Und ich glaube, dass die Erfahrung des Kreuzes, das betende Verhältnis zum Kreuz genau zu dieser Erfahrung führen kann.

Dann sieht man, dass das Schöne eigentlich auch dem Guten sehr, sehr nahe ist. Im Kreuz zeigt sich ja auf der einen Seite das Leid Christi, es zeigt sich der Tod Christi, es zeigt sich die Folter, der man ihn unterworfen hat. Aber es zeigt sich natürlich immer auch die Hoffnung auf Ostern, die Hoffnung auf Auferstehung, die Güte Gottes zeigt sich im Kreuz und insofern kann das Kreuz schön sein.

So glaube ich, dass eigentlich das Nachdenken über das Kreuz auch dazu führen kann, unser Verständnis des Schönen, unser Verständnis von Schönheit noch einmal zu ändern, noch einmal kritisch zu betrachten. Ob schön nur das ist, was uns gefällt, was uns nicht gefällt oder ob es nicht auch einen tieferen Begriff von Schönheit gibt, für den wir in der Geschichte ganz, ganz viele Zeugnisse haben. Dass das Schöne nicht nur etwas ist, was uns irgendwie wohl tut und wohl gefällt, sondern uns wirklich in einer ganz tiefen Weise in Anspruch nimmt, herausfordert.

Es gibt ja die berühmte Zeile von Rilke "Du musst dein Leben ändern" - angesichts der Erfahrung des Schönen. Ich glaube, eine ähnlich grundlegende Erfahrung kann man natürlich auch vom Kreuz her machen, nämlich dass ich mein Leben, so wie ich es führe, ändern muss. Und das ist auch eine Erfahrung von Schönheit.

DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie schon viele Aspekte angedeutet, welchen Stellenwert das Kreuz für die christlichen Gemeinden hat. Dennoch auch die Frage, welchen Stellenwert es denn in der säkularen Welt einnimmt?

Holger Zaborowski, Philosoph

"Die Notwendigkeit, das Leid auch mit Barmherzigkeit zu beantworten und, moderner ausdrückt, mit Solidarität. Das ist etwas, was auch im Zeichen des Kreuzes geschieht, wo das Christentum unsere Kultur bis heute ganz stark geprägt hat."

Zaborowski: Ich denke, da nimmt es natürlich aufgrund der Geschichte des Christentums immer noch eine ganz wichtige Rolle ein. Also, in der Sprache sagen wir immer noch "Jemand muss sein Kreuz tragen" oder wir haben das Kreuz als Symbol beim Roten Kreuz oder die Schweiz hat es als Symbol in der Nationalflagge und wir finden, wenn man genau hinschaut, eigentlich an sehr vielen Stellen immer noch das Kreuz.

Der öffentliche Raum ist ja auch voll von Kreuzen. Das sind dann religiöse Kreuze, aber die prägen unsere Städte, die prägen unseren öffentlichen Raum. Man sieht, dass ein bestimmtes christliches Verständnis des Kreuzes unsere Gesellschaft bis heute sehr stark prägt. Und das nicht nur auf einer theoretischen Ebene.

Ich glaube, wenn Sie an die Menschen, die aus der Ukraine flüchten, denken, dann sehen Sie eine ganz große Hilfsbereitschaft, eine ganz große Solidarität. Das heißt, dieser Blick für die Leidenden, dieses Verständnis für die Menschen, die leiden, die Notwendigkeit, das Leid auch mit Barmherzigkeit zu beantworten und, moderner ausdrückt, mit Solidarität, das ist eigentlich etwas, was auch im Zeichen des Kreuzes geschieht, wo das Christentum unsere Kultur bis heute, dort, wo sie gar nicht mehr christlich zu sein scheint, ganz, ganz stark geprägt hat.

DOMRADIO.DE: Wäre das vielleicht auch der Bezugspunkt, um zu sagen, warum es gerade heute spannend ist, über das Kreuz als Symbol zu sprechen?

Zaborowski: Ich glaube schon, dass es extrem spannend, extrem wichtig ist, heute über das Kreuz zu sprechen. Denn das Kreuz hat ja einen ganz wichtigen Bezug auf unser Verständnis vom leidenden Menschen. Ich glaube, das liegt auf der einen Seite ja schon in der Fluchtlinie der gesamten biblischen Botschaft, also die Hinwendung zum leidenden Menschen, die Hinwendung zum Kranken, zum Ausgestoßenen. Aber im Kreuz intensiviert sich das noch.

Holger Zaborowski, Philosoph

"Das Kreuz ist ein Hoffnungszeichen und ein Erlösungszeichen, auch ein Symbol für die Güte Gottes."

Ich glaube, dass man sehr gut auch historisch-kulturell zeigen kann, wie sehr ein bestimmtes Verständnis der Solidarität, wenn man das jetzt neuzeitlich ausdrückt, oder der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit, ganz stark auch von der Botschaft des Kreuzes her geprägt ist. Das Kreuz ist ein Hoffnungszeichen und ein Erlösungszeichen, auch ein Symbol für die Güte Gottes, dass der leidende Mensch letztlich nicht am Rande steht, dass Gott das Leid selbst umfangen hat, selbst auf sich genommen hat, dass er aber auch das Leid erlöst hat, dass am Ende nicht die Trauer, der Tod, sondern die Freude und das Leben steht.

Ich glaube, dass wir heute die wichtige Aufgabe haben, auch an diese Hoffnungbotschaft zu erinnern und zu sagen: In einer Welt, die oft so dunkel, so grausam, so hoffnungslos erscheint, gibt es einen Moment von Hoffnung. Es gibt einen Moment von Hoffnung, die in der Güte Gottes liegt, darin, dass Gott will, dass wir leben, dass er uns das Leben und die Freude schenken wird. Deshalb ist das Kreuz ja nicht von der österlichen Botschaft, von der Hoffnung auf Auferstehung, von der Hoffnung auf Erlösung zu lösen.

Das Interview führte Moritz Dege.

INFO: Prof. Holger Zaborowski spricht am Dienstag ab 19:30 Uhr im Kölner Domforum, Domkloster 3, zum Thema "Skandal, Horizont, Erlösung Von der Schönheit des Kreuzes". Es gilt das Hygienekonzept des Veranstalters.

Quelle:
DR