Verzweifelte Friedensdiplomatie des katholischen Oberhaupts

Wenn der Papst eine Fahne küsst

Sechs Wochen dauert der Krieg in der Ukraine schon. Niemand scheint in der Lage, die russische Aggression zu stoppen. Der Papst ist einer, der es versucht. Auf seine eigene Weise, die mitunter schwer zu verstehen ist.

Autor/in:
Roland Juchem
 Papst Franziskus mit ukrainischer Fahne
 / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus mit ukrainischer Fahne / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

War es klug, die ukrainische Fahne öffentlich zu küssen? Die jüngste Geste des Papstes, am Ende seiner wöchentlichen Generalaudienz am Mittwoch die Fahne kurz an den Mund zu führen, sorgt für Diskussionen. Wer immer dem katholischen Kirchenoberhaupt noch vorwirft, er beziehe im Ukraine-Krieg nicht klar genug Stellung, dürfte nun eines besseren belehrt sein.

"Diese Fahne kommt aus dem Krieg", sagte der Papst, als er das verschmutzte Landessymbol hochhielt, "aus der gemarterten Stadt Butscha." Dabei erinnerte er an die "furchtbaren Grausamkeiten, die auch gegen Zivilisten verübt wurden, gegen wehrlose Frauen und Kinder". Das Blut dieser Opfer schreie zum Himmel, flehe: "Möge diesem Krieg ein Ende gemacht werden!"

Fahne rekurriert auf Maidan

Papst Franziskus steht neben Flüchtlingskindern und -frauen aus der Ukraine und küsst eine ukrainische Nationalflagge, die er aus dem ukrainischen Ort Butscha erhalten hat, bei der Generalaudienz am 6. April 2022 im Vatikan.  / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus steht neben Flüchtlingskindern und -frauen aus der Ukraine und küsst eine ukrainische Nationalflagge, die er aus dem ukrainischen Ort Butscha erhalten hat, bei der Generalaudienz am 6. April 2022 im Vatikan. / © Paul Haring ( KNA )

Ob aber Franziskus mit dem Fahnenkuss seine Chancen erhöht hat, im Krieg zu vermitteln, scheint zweifelhaft. Auf dem blau-gelben Tuch war ein Kreuz gemalt, das von einem Säbel und wohl einer Lanze gekreuzt war. Drumherum die Wörter "Kosaken", "hundert", "Maidan" sowie die Ziffer 4. Es heißt, dies sei das Symbol einer Freiwilligen-Einheit, die 2013/2014 die ukrainische Demokratie auf dem Maidan in Kiew habe verteidigen wollen.

Der Papst aus Lateinamerika, der seine Haltung gerne mit Gesten ausdrückt, rief so auch Erinnerungen an die auch antirussischen Euromaidan-Demonstrationen von 2013/2014 wach. Diese aber hatte der Kreml als westlich gesteuert verurteilt. Auch machte sich der Papst am Mittwoch die Kritik von Präsident Wolodymyr Selenskyj am Versagen des Weltsicherheitsrates zu eigen. In diesem Krieg "erleben wir die Ohnmacht der Organisation der Vereinten Nationen", so Franziskus.

Vielleicht war die päpstliche Sympathie-Geste in Richtung der Ukrainer auch nötig.

Diplomatischer "Eiertanz"

Franziskus' Aussage, er plane ein weiteres Treffen mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill I., muss unter ukrainischen Christen für Kopfschütteln gesorgt haben. Zwischen Kyrill und Putin gebe es keinen Unterschied, sagte der katholische Bischof von Odessa, Stanislav Schyrokoradjuk, einer italienischen Zeitung. "Aber der Papst weiß besser, wie und was er zu tun hat. Wir vertrauen ihm." Dabei ist Kyrill nicht der einzige, der Waffengewalt religiös begründet. Auch in der Ukraine und andernorts wird der bewaffnete Kampf oft religiös konnotiert.

Es ist ein "Eiertanz", den Franziskus derzeit vollziehen muss: zwischen pastoralen Erwartungen der Katholiken an ihr Oberhaupt, Hoffnungen der gesamten Christenheit, die Konfessionen irgendwie im Gespräch zu halten, sowie der Diplomatie des Heiligen Stuhls. Die, so Franziskus, "arbeitet am Anschlag". Dabei darf der Papst, trotz klarer Haltung zum Unrecht des russischen Angriffs auf die Ukraine, keine Tür zuschlagen.

Warum Franziskus "Putin" nicht explizit nennt

Papst Franziskus und Antonio Spadaro / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus und Antonio Spadaro / © Paul Haring ( KNA )

Der Papst wolle "flicken", "zusammenführen und nicht weiter trennen", warb der Franziskus-Kenner, Antonio Spadaro, für das Vorgehen von Franziskus. Deshalb habe er auch im Zusammenhang mit dem Krieg noch immer nicht die Wörter "Putin", "Moskau" oder "Russland" öffentlich in den Mund genommen. Gleichwohl erhöhte der Vatikan zuletzt den diplomatischen Druck auf Russland; vor allem mit dem Satz, eine Reise nach Kiew liege "auf dem Tisch".

Auf die Frage, welche Botschaft er Putin direkt sagen würde, versetzte Franziskus beim Rückflug von Malta: "die Botschaften, die ich allen Obrigkeiten gesagt habe, und das, was ich öffentlich gesagt habe. Ich rede nicht doppelzüngig." Es lohnt sich daher, bei dem, was der Papst öffentlich sagt, genau hinzuhören.

Keine Schwarz-Weiß-Malerei

"Alle Kriege entstehen aus einer Ungerechtigkeit", ist solch ein Satz, der leicht als Floskel abgetan wird. Ebenso: "Wir lernen nicht. Möge der Herr uns gnädig sein, uns allen. Wir sind alle schuldig!"

Alle? Für Franziskus gibt es, bei allem Unrecht des russischen Überfalls, keine Schwarz-Weiß-Malerei. Er will nicht Moskau - und schon gar nicht alle Russen - völlig abkanzeln.

Am "Dritten Weltkrieg in Stücken", vor dem der Papst seit Jahren warnt, sind alle mitverantwortlich. Weswegen er auch die angekündigte Aufrüstung einiger Nato-Staaten verurteilte, und einen Aufschrei erntete, obwohl er die Wörter "Nato" und "Westen" nicht in den Mund genommen hatte.

Schließlich: Papst Franziskus ist ein tief frommer Mann. Der auf Gebete gegen Bomben setzt. Und bei aller Diplomatie der Welt den Pazifismus der Bibel entgegenhält. "Der Papst hat schon immer zu einer friedlichen Lösung der Probleme aufgerufen", so Bischof Schyrokoradjuk. Wäre auf das Kirchenoberhaupt gehört worden, hätte es die russische Invasion nicht gegeben.

Vatikandiplomatie

Der Heilige Stuhl unterhält derzeit diplomatische Beziehungen zu 183 Staaten weltweit. Hinzu kommen die EU und der Souveräne Malteserorden. 88 Staaten sowie die EU und der Malteserorden lassen ihre Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom residieren. Ferner sind die Arabische Liga, die Internationale Organisation für Migration und das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR mit eigenen Gesandten beim Vatikan vertreten.

Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds (dpa)
Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds ( dpa )
Quelle:
KNA
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