Wie ein Domküster auf die Karwoche blickt

"Man muss immer drei Schritte vorausdenken"

Zu keiner Zeit im Jahr ist die Anspannung in der Sakristei so groß wie in den Tagen vor Ostern. Da ist viel Detailarbeit gefragt, sodass die Küster oft bis spät abends auf den Beinen sind. Domsakristan Schroers gibt einen Einblick.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Domküster Patrick Schroers öffnet den Flügelaltar in einer der Chorkapellen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domküster Patrick Schroers öffnet den Flügelaltar in einer der Chorkapellen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Äußerlich ist er die Ruhe selbst. Mit bedächtigen Schritten und oft liturgischem Gerät in beiden Händen legt Patrick Schroers in seinem schwarzen Talar immer wieder den Weg zwischen Vierung, Chorkapellen und Sakristei zurück. Vor jedem Altar, an dem er vorbeikommt, macht er eine dezente Verbeugung, vor jedem Tabernakel eine Kniebeuge. Unzählige Gänge legt er auf diese Weise zurück. Mehrere Kilometer am Tag kommen da zusammen. Schließlich besteht sein Dienst im Dom aus vielen einzelnen Abläufen, die in der Summe endlose Strecken bedingen und zudem in der gebotenen Würde verrichtet sein wollen. Hetze und Hast sind hier fehl am Platz, auch wenn das Zeitfenster zwischen den zahlreich zu erfüllenden Aufgaben in Vorbereitung außergewöhnlicher Gottesdienstfeiern wie der der Karwoche schon mal klein ist und das durchaus zum Stressfaktor werden kann.

Alles eine Frage der Organisation, findet der hochgewachsene Mann mit dem kurz geschnittenen rötlichen Haar und lächelt. "Hier am Dom und gerade in der Sakristei, wo viele Geistliche, die Domschweizer, Dommusiker oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Dombauhütte ein- und ausgehen, sich mitunter also viele Menschen gleichzeitig aufhalten, herrscht natürlich immer reges Treiben, so dass ich in diese dynamische Betriebsamkeit gerne Ruhe reinbringe und mit meiner Haltung bewusst gegensteuere. Sonst stünde man permanent unter Strom und wäre anhaltend gereizt, da eigentlich immer gerade jemand etwas von einem will", sagt der 48-Jährige. "Hinzu kommt, dass mir persönlich Ehrfurchtsbezeugungen wichtig sind, ich Hektik und Lärm im Dom unpassend finde." Damit, dass andere an diesem heiligen Ort zunehmend ein eher respektloses Verhalten an den Tag legten, könne er nur schwer umgehen. "Daran will ich mich auch nicht gewöhnen", so Schroers.

Domküster Patrick Schroers

"Christus ist der Mittelpunkt – und das nicht nur an Tagen, in denen wir uns innerlich und äußerlich gleichermaßen auf das österliche Heilsmysterium einstimmen."

Schließlich müssten im Dominneren besondere Regeln beachtet werden. Und da sei doch am überzeugendsten, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. "In der Hoffnung, dass andere das wahrnehmen und es genauso machen." Denn das ist dem Domküster, der auch schon mal gegen fünf in aller Herrgottsfrühe in der Sakramentskapelle anzutreffen ist, um sich noch vor Dienstantritt ins Stundengebet zu vertiefen, wichtig: Kölns Wahrzeichen in erster Linie als Gotteshaus zu betrachten – und erst auf den zweiten Blick als Touristenhochburg. "Christus ist der Mittelpunkt", argumentiert er – "und das nicht nur an Tagen, in denen wir uns innerlich und äußerlich gleichermaßen auf das österliche Heilsmysterium einstimmen". Das sollte von daher nicht zuletzt auch in einem Raum wie der Sakristei zum Ausdruck kommen.

"Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung der Gottesdienste und liturgischen Amtshandlungen" – so wird das Aufgabenspektrum eines Sakristans zu solchen Hoch-Zeiten nur sehr unzulänglich beschrieben. Denn der Küsterdienst im Kölner Dom vor und während der Heiligen Woche ist – genau genommen – eine Wissenschaft für sich und fußt auf akribisch genauer Planung. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Alles trägt die Handschrift einer minutiös durchdachten Logistik. Trotzdem folgen Schroers und seine beiden Kollegen, Judith Maurer und Andreas Kasperczyk, keinem festgeschriebenen Konzept oder haken auf ihrer To do-Liste Posten für Posten ab. "Alles Wichtige haben wir im Kopf, sprechen aber natürlich genau die Verantwortlichkeiten vorher ab, damit auch jeder weiß, was zu tun ist und nichts vergessen wird. Auf diese Weise ergänzen wir uns ganz wunderbar, zumal jeder ja auch seine Schwerpunkte hat", lobt Schroers die reibungslos funktionierende Teamarbeit. "Und wenn einem doch schon mal etwas durchgeht, hat der andere mitgedacht und springt gleich ein. Mit den Jahren ist uns dieser Dienst gerade auch während der Karwoche, in der es mit so vielen zusätzlichen Extras eine Menge mehr als sonst zu bedenken gilt, in Fleisch und Blut übergegangen. Außerdem brennen wir alle für diesen Beruf, sind also immer zu 100 Prozent im Einsatz. Das macht kleine Fehler verzeihlich."

Freude ist zur Triebfeder geworden

Seit 25 Jahren ist Schroers aus Berufung Küster, wie er erklärt. Vor 14 Jahren hat er seinen Arbeitsplatz an der Wallfahrtsbasilika in Kevelaer, wo er fünf Jahre lang Chefsakristan war, gegen den im Kölner Dom eingetauscht. "Von einem Riesenbetrieb bin ich an die schönste Kirche gewechselt, die ich mir vorstellen kann." Ein großer Schritt, den er aber nie bereut habe. Vielmehr spricht er davon, dass die Zeit am Niederrhein prägende Jahre gewesen seien, "nicht nur, weil ich an diesem Pilgerort – noch lange vor einer offiziellen Anstellung – meine Begeisterung für Liturgie entdeckt habe. Sondern auch, weil ich dann später da ein tolles Team hatte und Arbeitsabläufe vereinfachen und strukturieren gelernt habe. Das musste sein in einer Kirche, in der jährlich bis zu 60 Bischöfe zu Gast sind, zu Stoßzeiten im Stundentakt Messe gefeiert wird – manchmal auch drei Pontifikalämter parallel – und es das Fünffache an Paramenten gibt." Was ja schon was heißen will, zumal der Kölner Bestand auch nicht gerade bescheiden ist.

Von der Pike auf hat der gebürtige Xantener den Küsterdienst erlernt, irgendwann das Hobby zum Beruf gemacht und sich nebenbei auch noch – ohne je eine einzige Unterrichtsstunde gehabt zu haben – fürs Orgelspielen interessiert. Heute springt er auch am Dom ganz selbstverständlich an diesem Instrument ein, wenn es bei den Früh- oder Abendmessen mal einen personellen Engpass gibt. "Das macht mir Spaß und ist auch eine große Ehre", betont der musikalische Autodidakt, dem die Leidenschaft für seine abwechslungsreiche Tätigkeit im Gesicht geschrieben steht. Wie ihm überhaupt die Freude – und in diesen Tagen die Vorfreude, die über allem schwebe, wie er das nennt – zur Triebfeder geworden ist.

Domküster Patrick Schroers

"Ein Rädchen greift ins andere. Fehlt nur ein winziges Detail, stockt die ganze Feier."

Jeder der einzelnen Festtage habe seine liturgischen Besonderheiten, schwärmt der Domsakristan und beschreibt im nächsten Moment nüchtern die aktuelle Herausforderung. "Die Karwoche ist die anspruchsvollste im ganzen Jahr – und ohne Überstunden nicht machbar." In der Nacht von Gründonnerstag seien sie oft bis ein, zwei Uhr in der Frühe mit der sogenannten "Entblößung" aller Altäre beschäftigt, denn am Karfreitag zeige sich die Grabesruhe ja vor allem in der Schmucklosigkeit und Kargheit des Raumes. "Während wir am Samstagnachmittag dann den Dom wieder von Null auf 100 hochfahren und aus den Schubladen holen, was dort vorher sorgsam verstaut wurde." Natürlich koste es viel Energie, jederzeit das große Ganze im Blick zu behalten und schon Tage vorher mit den Vorbereitungen der Karwoche zu beginnen: zum Beispiel mit der Auswahl des Blumenschmucks, der Bereitstellung sämtlicher Gefäße, Kännchen, Kelche und Patenen, aber auch der Leuchter, Vortragekreuze oder eben Paramente, unter denen sich mancher Schatz befindet. "Hier atmet vieles Geschichte", ist Schroers überzeugt. "In stillen Stunden wird uns das auch immer wieder bewusst. Dann überwiegt trotz des Stresses eine unbändige Freude, hier im Herzen des Doms alles am Laufen zu halten."

Für Glücksgefühle solcher Art aber bleibt im Tagesgeschäft eher selten Zeit. "Im Normalfall absorbiert die gewissenhafte Begleitung der Liturgie unsere volle Aufmerksamkeit. Denn wenn es dann endlich soweit ist, das erste der insgesamt sieben Pontifikalämter der Kar- und Osterzeit gefeiert wird, muss jeder auf den Punkt sein. Dann ist absolute Konzentration gefragt." Auch das noch so geringste Detail im liturgischen Ablauf stehe unter genauester Beobachtung. "Außerdem muss man immer drei Schritte vorausdenken. Und man sollte sich aufeinander verlassen können. Schließlich greift ein Rädchen ins andere. Fehlt nur ein winziges Detail, stockt die ganze Feier."

Domküster Patrick Schroers

"Da muss man den Überblick behalten und gleichzeitig auf Unvorhergesehenes flexibel reagieren."

Doch damit es dazu gar nicht erst kommt, beginnen die Vorarbeiten für alle drei Domküster schon weit vor Palmsonntag. Zu den ersten Amtshandlungen gehört die Bestellung eines 200-Liter-Fasses Öl, von dem sich die Stadt- und Kreisdechanten unmittelbar nach der Chrisam-Messe am Montag etwas in ihre Gemeinden mitnehmen. "Da warten dann am Abend schon mal bis zu 50 Leute in der Schlange vor der Stephanus-Kapelle", schildert Schroers. Während er und seine Kollegen dann aber noch in der gesamten Karwoche zu vereinbarten Terminen an der "Öl-Bar", wie sie die Ausgabe an den Zapfgefäßen schon mal gerne salopp nennen, stehen und fleißig in mitgebrachte Flaschen von weiteren Gemeindevertretern oder Klostergemeinschaften im Bistum das kostbare mit duftendem Peru-Balsam und Rosenöl versetzte Chrisam, Katechumenen- und Krankenöl abfüllen. Letztlich würde sich der Jahresbedarf im gesamten Erzbistum auf etwa 130 Liter Öl für Taufen, Firmungen sowie andere Segens- und Weihehandlungen belaufen, weiß der Domküster aus Erfahrung.

Dann ist der erste feierliche Höhepunkt der Heiligen Woche, der Palmsonntag, bereits vorbei und damit auch die zur Palmenmesse eingespielten Rituale, zu denen immerhin das sorgfältige Herauslegen von durchschnittlich 15 Alben, Schultertüchern, Zingula, Stolen und Messgewänder in Rot – und diese je nach Größe in 150er oder 170er Länge – gehören, versehen mit den entsprechenden Namensschildchen der angemeldeten Liturgen. "Da muss man den Überblick behalten und gleichzeitig auf Unvorhergesehenes flexibel reagieren können – zum Beispiel wenn jemand noch im letzten Moment unangemeldet in der Sakristei auftaucht, die Bestuhlung im Altarraum entsprechend der Rangfolge bereits abgeschlossen und nun Improvisation gefragt ist." Auch die vielen Körbe voller Buchsbaum, aus denen sich die Gemeinde später etwas "Palm" mit nach Hause nehmen kann, müssen früh genug bestellt und hergerichtet sein – sowie das ebenfalls mit Buchs geschmückte Vortragekreuz, ein Blickfang zur Linken des Altars während des gesamten Palmsonntagsgottesdienstes.

Vielzahl der Teilnehmer eine enorme Herausforderung

In Minoriten, wo die Palmen von Kardinal Woelki dann geweiht werden, muss die für ihn gedachte Chorkleidung deponiert und eigens ein Tisch aufgestellt werden, an dem der Erzbischof Albe und Chormantel anlegt. Sobald Woelki an der Kolping-Kirche eintrifft, bilden alle anwesenden Domkapitulare, angehenden Priester, Seminaristen und Messdiener zur Begrüßung ein Spalier. "Auch das soll nach Möglichkeit ein stimmiges Bild abgeben, so dass es an uns Küstern ist, da vielleicht noch die eine oder andere Korrektur vorzunehmen", erläutert Schroers. "Später gehört zu meinem Part das pünktliche Glockengeläute, zu dem die Prozession feierlich über die Domplatte in die Kathedrale einzieht. Nicht zu vergessen die drei Standmikrofone und Lesepulte, an denen die Passion vorgetragen wird."

Noch mehr Aufwand mit rund doppelt so vielen Konzelebranten gebe es dann tags darauf in der Chrisam-Messe. "Immerhin sind am Montag der Karwoche traditionell alle Priester des Erzbistums eingeladen, ihres Weiheversprechens zu gedenken und ihre Bereitschaft zu diesem Dienst zu erneuern. Die Vielzahl der Teilnehmer ist für uns Küster eine enorme Herausforderung, zumal alle Platz zum Umkleiden benötigen und es auch hier viel Vorlauf braucht." Dann kämen zu den etwa zwölf Frühmessen an allen Altären noch die sorgfältigen Vorbereitungen für die wichtige Feier am Nachmittag hinzu. "Die Öl-Diakone, die die Gefäße tragen, müssen gebrieft werden, wo sie die Behältnisse abstellen. Sie bekommen eigens ältere Dalmatiken angelegt, für den Fall, dass die eine oder andere Ölkanne überläuft und Spuren auf den kostbaren Gewändern hinterlassen sollte. Außerdem assistieren wir alle drei gleichzeitig den vielen Priestern, die meist über die Sakristei hinaus den gesamten Chorumgang füllen, beim Anlegen ihrer Gewänder. Bereits mittags haben wir dann schon überall den bislang violetten Überzug der verhüllten Altar- und Hängekreuze gegen einen weißen ausgetauscht, bis dann sofort im Anschluss an den Gottesdienst der ursprüngliche Zustand mit der lila Verkleidung wieder hergestellt wird."

Domküster Patrick Schroers

"Damit alles wie am Schnürchen klappt, musste vorher auf Hochtouren gearbeitet werden. Solche Tage sind – ungelogen – der ultimative Stresstest für jeden Küster."

Auch werde im Vorfeld überlegt, wie viele Hostienschalen benötigt würden, an welchem Altar die vielen Geistlichen kommunizieren, wer die Schalen nach der Messe an welchen Ort zurückträgt und sie "purifiziert". An den Schlüssel zum Tabernakel müsse gedacht werden, um das Allerheiligste zu holen, an das Velum für den sakramentalen Segen und natürlich an die Weihrauchfässer. "Außerdem ist einer von uns für alle Wertgegenstände verantwortlich, die nach der Messe wieder zurück in die Domschatzkammer kommen. Diese Feier unterscheidet sich allein schon deshalb von allen anderen im Jahr, weil wir auf so vieles gleichzeitig ein Auge haben müssen. Damit alles wie am Schnürchen klappt, musste vorher auf Hochtouren gearbeitet werden", resümiert Schroers. "Dann freuen wir uns aber auch, wenn am Ende das Ergebnis stimmt und die stundenlange Anspannung irgendwann großer Zufriedenheit weicht, unser Bestes gegeben zu haben. Richtig glücklich aber sind wir erst, wenn auch der letzte Kelch wieder an seinem Platz steht. Unser Beruf lebt schließlich von Sauberkeit und Ordnung."

Und noch etwas ist Domsakristan Schroers ganz wichtig: "Wir sind in der Kar- und Osterwoche für die optimalen Rahmenbedingungen zuständig. Und solche Tage sind – ungelogen – der ultimative Stresstest für jeden Küster. Dennoch darf im Getöse der vielen Nebensächlichkeiten zu keinem Zeitpunkt der Sinn für das Wesentliche verloren gehen."

Quelle:
DR