Ausstellung über Rache im Jüdischen Museum Frankfurt

"Ein ambivalentes Thema"

Das Motiv der Rache ist allgegenwärtig: In der Populärkultur und auch aktuell angesichts von Krieg und Gewalt. Das Jüdische Museum Frankfurt beschäftigt sich mit der Rache derzeit in einer Ausstellung.

Ausstellung "Rache. Geschichte und Fantasie" im Jüdischen Museum Frankfurt / © Norbert Miguletz (Jüdisches Museum Frankfurt)

DOMRADIO.DE: Was hat Sie dazu bewogen, das schillernde Thema Rache in einer Ausstellung vor Augen und Ohren zu führen?

Professorin Dr. Mirjam Wenzel (Direktorin des Museums): Wir haben als Museum ja die Aufgabe, Themen zu adressieren, die in der Luft liegen, die relevant sind. Es sind in den letzten zwei Jahren einige Publikationen zu dem Thema erschienen, insbesondere zu Rachehandlungen von Jüdinnen und Juden an Nationalsozialisten unmittelbar im Kontext von 1945, also kurz nach der Schoah, aber auch schon davor. Es ist darüber hinaus gerade ein Buch des Philosophen Fabian Bernhardt erschienen, auch zum Thema Rache. Ich würde sagen, Rache ist ein Thema, was offensichtlich im Moment in der Luft liegt. Das greifen wir natürlich gerne auf.

Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt / © Sandra Hauer (Jüdisches Museum Frankfurt)

DOMRADIO.DE: Die Ausstellung beginnt mit einem im Raum schwebenden Baseballschläger aus dem Quentin Tarantino Film "Inglourious Basterds". Was wollen Sie mit diesem Einstieg vermitteln?

Wenzel: Rache ist ein Thema in der Populärkultur und der Film "Inglourious Basterds" von Quentin Tarantino hat dieses Thema noch einmal sehr viel präsenter gemacht. In dem Film gibt es ja zwei Rachehandlungen: Einmal von dieser Figur des "Bear Jew", der mit diesem Baseballschläger, auf dem Namen eingeschrieben sind, einen Wehrmachtssoldaten am Anfang tötet und zum anderen am Ende den großen Racheakt letztlich an der Spitze der nationalsozialistischen Herrschaft durch eine Überlebende, die das Kino anzündet.

Baseballschläger aus Inglourious Basterds / © Lukas Pichelmann (Jüdisches Museum Frankfurt)

Diese Erzählungen von Tarantino bauen natürlich auf auf eine populärkulturelle Tradition. Seit den 1930er-Jahren gibt es insbesondere im Comic viele Racheerzählungen. Aber auch der Film ist ein Medium, in dem Rachehandlungen häufig stattfinden. Das Entscheidende ist natürlich, dass der Zuschauer im Zuschauerraum weiß, dass das so nicht passiert ist. So ist das auch bei Tarantino. Das sind also imaginäre Handlungen. Und diese imaginären Handlungen sind häufig verbunden, aber auch so eine Art, sagen wir, kathartisches Moment oder eine Art Intervention im Nachhinein, dass man sich vorstellt: Wäre das doch passiert, wäre die NS-Spitze doch in einem Kino verbrannt, dann wäre vielleicht die Geschichte anders verlaufen.

DOMRADIO.DE: Wenn von Rache die Rede ist, spielt auch die Rachsucht eine Rolle. Was sagt das über das uralte Phänomen der Rache?

Wenzel: Es ist interessant, dass Sie den Begriff verwenden. Rachsucht ist ein Begriff, der vonseiten der christlichen Kirche sehr häufig Jüdinnen und Juden zugeschrieben wurde. Es gibt Mythen, insbesondere über die Ritualmordlegende oder die Brunnenvergiftung, die immer mit der Vorstellung zu tun haben des rachsüchtigen Juden. Die ist auch sehr häufig im Hintergrund von Verschwörungsmythen: Die rachsüchtigen Juden, die sich im Geheimen zusammentun, um die Welt zu manipulieren. Das sind alte christliche, mittelalterliche Mythen, die aufsitzen auf der Unterscheidung zwischen dem vermeintlich rächenden Gott des sogenannten Alten Testaments, also des Tanach im Unterschied zu dem liebenden und sühnenden Gott des Neuen Testaments. Eine bewusste Unterscheidung, mit der sich die christliche Kirche sozusagen die jüdische Tradition als, sagen wir mal, atavistisch (uralt und überholt) darstellt. Darauf satteln etliche Vorstellungen auf, die dann auch wirklich in gewalttätigen Mobilisierungen im Mittelalter kulminieren.

Wir thematisieren diese Vorstellung in der Ausstellung als "Fake News" und thematisieren also diese große Zuschreibung vonseiten der christlichen Kirche und halten dem die jüdische Tradition entgegen, die etwa den Spruch "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ganz anders deutet. Dort ist das nämlich eine Formel für Schadensersatz, also für die Frage: Was ist angemessen und was ist gerecht, wenn etwas passiert ist. Das ist das, was die Ausstellung großschreibt, gerade gegen die judenfeindliche Vorstellung des rachsüchtigen Juden.

DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie mit der nicht ganz so einfachen Frage in Ihrer Ausstellung um, ob es nicht legitim ist, Rache zu üben?

Wenzel: Die Ausstellung thematisiert Rache im Wesentlichen als Fantasiegeschichte. Rachevorstellungen entstehen angesichts der jahrhundertelangen Erfahrungen von Gewalt und Diskriminierung. Und, dass da eine Erzählung entsteht im Kopf oder in Texten der Selbstermächtigung oder der Intervention durch Gott, die Gerechtigkeit herstellt, das ist der Fokus der Ausstellung.

Es gibt aber einen Raum, da geht es um die Schoah, wo wir tatsächlich die Frage der Gerechtigkeit stellen: Was ist Gerechtigkeit angesichts der Monstrosität der Schoah? Es gibt diverse letzte Zeugnisse von den Ermordeten, die nach Rache rufen. Die findet man dort auch. Es gibt sehr, sehr wenige Rachehandlungen von Jüdinnen und Juden an Nationalsozialisten. Die meisten Taten blieben ungestraft und natürlich auch ungesühnt. Und die Frage der Gerechtigkeit steht doch schon im Raum. Und die überträgt sich letztlich auch auf kommende Generationen, denn die Generation der Täter ist ja nun in der Regel verstorben.

DOMRADIO.DE: Professorin Wenzel, wie sind Ihre Erfahrungen mit Besuchern und Besucherinnen der Ausstellung? Welche Reaktionen haben Sie bekommen?

Wenzel: Wir bekommen überwältigend positive Reaktionen, was uns auch überrascht, weil es ja ein ambivalentes Thema ist. Es ist ein Thema, wo es um ein starkes Gefühl geht, ein schillerndes Gefühl. Aber sehr viele, gerade junge Menschen, empfinden das als befreiend, dass wir über diese Emotion ins Gespräch kommen wollen. Und wir haben eine Dialogspur in der Ausstellung zwischen Direktorin und Kurator, die wir dann weiterziehen in den letzten Raum, wo wir also Feedback haben. Und die sind schon ziemlich vollgeschrieben. Die Ausstellung ist ja erst seit dem 17. März geöffnet. Also die Ausstellung, denke ich, regt an zu Gedanken. Sie regt an, sich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen. Und das beobachten wir auch bei unseren Besucherinnen und Besuchern.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Ausstellung "Rache. Geschichte und Fantasie"

Die Ausstellung "Rache. Geschichte und Fantasie" mit umfangreichem Begleitprogramm ist im Jüdischen Museum Frankfurt vom 18. März bis 17. Juli 2022 zu sehen.

Von Gott zu Quentin Tarantino: Eine außergewöhnliche Ausstellung widmet sich erstmals dem Topos "Rache" in der jüdischen Kulturgeschichte. Die abwechslungsreich inszenierte Schau wird von einem umfangreichen Katalog, einem Podcast, einem Artist-in-Residence-Programm und einer Film- und Gesprächsreihe begleitet.

Schriftzug im Eingangsbereich des Jüdischen Museums in Frankfurt / © Bert Bostelmann (KNA)
Schriftzug im Eingangsbereich des Jüdischen Museums in Frankfurt / © Bert Bostelmann ( KNA )