Morgenimpuls mit Schwester Katharina

Das Leiden ist nicht perspektivlos!

Die Absperrungen sind weg. Ich war ganz irritiert, als ich am Sonntag in unsere Kirche in die Heilige Messe gegangen bin. Es war schon ziemlich voll, voller als in all den Wochen und Monaten vorher, und ich habe erst gar nicht verstanden, was so anders war. Ich bin in eine Bank gegangen und habe erste beim Hinknien gemerkt, dass ich ohne den gewohnten Abstand einer leeren Reihe Platz genommen hatte. Dann habe ich gemerkt, dass die weinroten Absperrbänder weg waren, die seit zwei Jahren jede zweite Bank gesperrt haben. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass wir in der Kirche nur jede zweite Reihe besetzen dürfen, dass es ganz fremd und komisch ist. 

Auch die Karwoche dieses Jahr ist fremd und ungewohnt. Wir denken in der Karwoche an das Leiden und den Erlösertod Jesu wie jedes Jahr. Aber in diesem Jahr hat das Leiden Jesu andere Gesichtszüge, andere Namen, andere Bilder. Es sind weinende Menschen in den zerbombten Städten und Dörfern der Ukraine. Es sind die Toten in den russisch besetzten Orten. Es sind die weinenden Kinder in den überfüllten Zügen nach Westen. Es sind die Kranken und Alten in ihren kalten Kellern, die nicht fliehen können. Es sind die Flüchtlinge, die in den umgebenden europäischen Ländern stranden und im fremden Land mit fremder Sprache neu anfangen müssen. Und genau weil das so ist, weil das Leiden Jesu uns heute in unseren leidenden Mitmenschen diesmal so deutlich vor Augen geführt wird, wird klarer, worum es wirklich geht: Es geht um diesen Gott, der seit Jahrtausenden versucht, den Menschen den Frieden zu geben, den die Welt einfach nicht geben kann. Und selbst wenn Aggressoren und mordende Soldaten die Nachrichten überschwemmen, bleibt die ausgestreckte Hand Jesu vom Kreuz herab, um alle an sich zu ziehen, die im Leid und im Tod zu versinken drohen. 

Das Weinen und Klagen, die unglaubliche Trauer, die Ohnmacht angesichts der Raketen, Bomben und Vertreibungen, die Angst vor dem Einsatz der Atomwaffen bleiben. Aber das Leiden Jesu und sein Sterben, sein Begraben werden und sein Auferstehen zeigen eine Perspektive, ohne die wir, glaube ich, verzweifeln und verrückt werden würden. Aber mit dieser Osterperspektive und der Hoffnung auf Erlösung können wir aushalten, bei den Menschen bleiben, für sie eintreten, spenden und helfen und Mut machen. 
 

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