Trifft er Kyrill oder nicht? Franziskus will wohl. Er selbst sagte dies am 3. April auf dem Rückflug von Malta. Ob ein Treffen aber klug ist, die Ukraine gar dem Frieden einen Schritt näher bringt, ist zweifelhaft. Möglicherweise Mitte Juni in Jerusalem, lautet derzeit die Vermutung für eine Begegnung zwischen dem Papst aus Rom und dem Patriarchen aus Moskau. Ventiliert hat sie nicht nur der zuletzt eher schweigsame Außenbeauftragte des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, sondern auch eine Meldung der Agentur Reuters von Montagabend.
Deren langjähriger Vatikan-Korrespondent Philip Pullella berief sich dabei auf zwei ungenannte vatikanische Quellen. Und Pullella ist keiner, der im vatikanischen Hofzirkus Dinge aufbauscht. Der vom libanesischen Präsidenten Michel Aoun bereits angekündigte Papstbesuch in Beirut könnte um einen Tag in Jerusalem ausgeweitet werden. Dies sei eine (!) mögliche (!) Option, die von Diplomaten des Staatssekretariats geprüft werde, hieß es aus Vatikankreisen.
Drittland wahrscheinlich
Warum Jerusalem? Mehrere Gründe sprechen dafür. Zum einen war schon immer klar, dass ein zweites Treffen zwischen Franziskus und Kyrill I. auf neutralem Boden stattfinden werde. Der Kreml und einige Rechtsaußen-Orthodoxe wollen den Papst nicht in Moskau. Und nach Rom begibt Kyrill sich ebenso wenig. Nun, während des Ukraine-Kriegs, ist ein Drittland umso wahrscheinlicher.
Des Weiteren hat Israel nach wie vor eine offene Dialog-Tür nach Moskau; Premier Naftali Bennett war bereits vor dem Überfall auf die Ukraine als Vermittler unterwegs.
Vor allem aber, und das entspräche ganz dem Denken von Franziskus, ist Jerusalem der heiligste Ort der Christenheit. Dort, wo Jesus Christus wirkte, litt, starb und auferweckt wurde, sind absolute Ehrlichkeit, Reue und Versöhnungswille gefordert. Auf Golgatha ist kein Platz für die Pervertierung des Evangeliums und ideologische Spielchen.
Debatte über Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche
Ob Kyrill das genauso sieht? Für Putins Hofideologen, wie der Moskauer Patriarch inzwischen weltweit wahrgenommen wird, böte ein Treffen mit dem Papst die große Chance, seine Isolation in der christlichen Welt aufzubrechen. Im Weltkirchenrat (ÖRK) wird bereits darüber debattiert, die russisch-orthdoxe Kirche des Moskauer Patriarchats aus der Versammlung der 352 Mitgliedskirchen auszuschließen. Beim Treffen des ÖRK-Zentralausschusses Mitte Juni wird mit Sicherheit darüber debattiert.
Das Moskauer Patriarchat sieht die Chance, das Treffen mit dem Papst nach eigenem Gusto zu interpretieren. Man weiß: Die vatikanische Diplomatie ist so zurückhaltend und schweigsam, dass sie strittige, kontroverse Aussagen und Meinungsverschiedenheiten allenfalls diplomatisch-ökumenisch vornehm umschreibt. Wie schon nach dem Videogespräch zwischen Franziskus und Kyrill Mitte März könnte der Patriarch anschließend behaupten, der Papst sei mit ihm weitgehend einer Meinung. Wohl wissend, dass man das in Rom nicht offen dementieren wird.
Gute Begründung nötig
Kyrills Propaganda-Vorteil ist Franziskus' Schwachpunkt. Sollte der Papst aus Rom den "Kriegstreiber", der sich in der orthodoxen Welt weitgehend selbst isoliert hat, persönlich treffen, muss er dies seinen orthodoxen Mitbrüdern gegenüber gut begründen. Vor allem wird er in ein solches Treffen nicht ohne Rücksprache mit dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., gehen können. Just dem Patriarchat von Konstantinopel unterstellen sich derzeit all jene russisch-orthodoxen Auslandsgemeinden, die sich wegen der Kriegstreiberei Kyrills von Moskau lossagen.
Der Papst ist so verzweifelt und versessen darauf, alles ihm Mögliche zu unternehmen, den Ukraine-Krieg zu beenden, dass er solche diplomatischen Bedenken beiseite schiebt. Sein Motto war schon immer: Man muss mit allen Dialog führen - ohne allerdings seine Überzeugungen aufzugeben. Und wie die christliche Überzeugung in Sachen Krieg aussieht, hat Franziskus mehrfach sehr deutlich gemacht.
Kritik an Fahnen-Kuss
Vielleicht bringt er dem Moskauer Patriarchen - so sie sich denn tatsächlich treffen - ein Foto vom diesjährigen Kreuzweg am Kolosseum mit: eine ukrainische und eine russische Familie tragen gemeinsam das Kreuz Christi. Dazu beten sie: "Gott, wo bist du? Sprich in der Stille des Todes und der Trennung und lehre uns, Frieden zu schließen, Brüder und Schwestern zu sein, wieder aufzubauen, was die Bomben vernichten wollten."
Ob er damit bei Kyrill und in Moskau auf halbwegs offene Ohren trifft? Sein Kuss einer ukrainischen Fahne am Ende der Generalaudienz vergangene Woche lieferte russischen Interpreten der Weltlage bereits Munition, seine moralische Autorität zu attackieren: Die Fahne einer gewissen "4. Kosakenhundertschaft vom Maidan", sei "ein Symbol von Militanten, die in der Ukraine einen Putsch durchgeführt und die rechtmäßige Regierung gestürzt haben". "Blutiger Proselytismus" stehe durchaus in der Tradition des Jesuitenordens, dem Franziskus angehört, kommentierte etwa vergangene Woche das russische Portal für Politik- und Wirtschaftsstrategien "Russtrat".