DOMRADIO.DE: Sie sind in Bayern geboren, seit 1997 in NRW zu Hause. Was gefällt Ihnen hier so sehr, dass Sie geblieben sind? Bayern ist ja auch ganz schön.
Mona Neubaur (Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen NRW): Bayern ist wunderschön. Da lebt meine Mutter, mein Vater, mein Bruder, meine Neffen, viele Verwandte, auch noch Freunde. Es ist wirklich schön da. Aber ich lebe jetzt deutlich über die Hälfte meines Lebens hier in Düsseldorf, im wunderschönen Rheinland. Ich habe hier so enge Freundschaften gefunden, hier in dem tollen Raum von Großstädten und schöner Landschaft ist einfach mein Zuhause. Ich bin Nordrhein-Westfälin.
DOMRADIO.DE: Sie wollen viel umsetzen in Sachen Klimawandel und Verkehrswende. Wie kann man in diesem Bundesland, das ja auch von der Industrie lebt, zum Ursprung zurückkehren? So, dass wir die Ökologie, die Schöpfung, noch mehr mitdenken?
Neubaur: Ich glaube, es hat natürlich vor allem den Grund, dass wir den Planeten, wenn wir wirtschaften, so bearbeiten müssen, dass wir für die folgenden Generationen einen gesunden und intakten Planeten hinterlassen. Aber ich will sagen, ganz aktuell wird natürlich für uns alle erlebbar: Was passiert eigentlich, wenn wir erpressbar werden dadurch, dass wir fossile Importe brauchen, um wirtschaftlich produzieren zu können? Deswegen ist die Idee richtig, zu sagen: Wir machen uns unabhängig von fossilen Rohstoffen, von Diktatoren, und bauen hier die Erneuerbaren aus.
Mit einem Muster für Erneuerbare kann es uns gelingen genau hier einen Vorteil für unseren Wirtschaftsstandort zu machen, weil wir die Energie über Erneuerbare produzieren. Das sind Standortfaktoren. Wir erleben, wo Tesla hingeht. Das entscheidet sich danach, wo Energie zur Verfügung ist, wo mittelfristig bezahlbare Energie zur Verfügung ist. Das ist in Brandenburg über die Erneuerbaren der Fall. Wir wollen gerne als Grüne, dass Nordrhein-Westfalen ein starkes Industrieland bleibt und übrigens auch über den Umbau der Wirtschaft hin zu einem klimaverträglichen und einem ökologischen Wachstum neue Arbeitsplätze entstehen.
DOMRADIO.DE: Aber noch braucht die Industrie ja Kohle, Gas und Öl. Darauf kann man ja jetzt mittelfristig noch nicht verzichten.
Neubaur: Richtig ist, dass wir gerade durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, weil wir richtigerweise starke wirtschaftliche Sanktionen aussprechen und so schnell wie möglich von diesen Importen unabhängig werden wollen, um die Kriegs-Ökonomie von Wladimir Putin nicht länger mitzufinanzieren, dass wir dafür pragmatische Zwischenschritte brauchen. Also über LNG-Gas oder Kohle aus anderen Teilen der Welt, jetzt unsere Energieversorgungssicherheit gewährleisten müssen.
Aber das Ziel muss doch klar sein. Die Klimakrise bleibt ja real und existent. Wir haben es erlebt. Fast ein Jahr ist es her, dass wir schwer getroffen wurden, auch in Nordrheinwestfalen, von Folgen der Klimakrise durch die Flutkatastrophe. Deswegen ist das Ziel fest im Blick zu haben. Zu wissen, sich darauf verlassen zu können, da sind Menschen in einer nächsten Landesregierung, die haben die richtige Haltung, wenn es um die entscheidende Zukunftsfrage geht.
DOMRADIO.DE: Den Grünen kann man historisch ja einen durchaus vorbildlichen Umgang attestieren mit einem christlichen Umgang mit der Schöpfung. Aber eine Beziehung zu Gott ist da oft nicht drin, in dieser Begründung. Im Kurzwahlprogramm der NRW Grünen lese ich die Stichworte "Gott" oder "Religion" gar nicht. Wollen Sie nicht anecken?
Neubaur: Nein, das ist nicht der Grund, warum wir die Ökologiepolitik betreiben. Die hat für uns sozusagen den Wert dessen, auch ohne dass es Gottes Schöpfung ist oder, dass wir uns darüber kirchlich herleiten, dass das ein schützenswertes Gut ist. Das ist im weitesten Sinne bei uns der Gedanke der Generationengerechtigkeit, nämlich ein Programm, so eine Politik zu schreiben, was im Jetzt entscheidet für die Zukunft derer, die noch gar nicht geboren sind.
DOMRADIO.DE: Ihre Herkunft aus Bayern lässt ja auch katholische Wurzeln vermuten. Ich stelle Ihnen jetzt die Gretchenfrage: Wie sieht Ihre persönliche Beziehung zur Religion aus?
Neubaur: Ich bin in Bayern großgeworden. Da ist man selbstverständlich - in dem Teil Bayerns, wo ich herkomme, aus einem sehr kleinen Dorf - bayerisch katholisch sozialisiert. Ich war selber auf einem katholischen Kloster-Gymnasium. Ich habe mich dann für einen Austritt aus der Kirche entschieden. Und ich will das auch gerne begründen: Weil in der Frage eines riesigen Staudammprojekts in China die Vatikanbank die einzige war, die da eine Finanzierung zugesagt hat.
Und das war für mich nicht vereinbar mit dem, was ich unter christlichem Glauben verstanden habe. Deswegen gehen seither meine Kirchensteueraufwendungen in ein Projekt für Straßenkinder in Südamerika. Das ist eine individuelle Entscheidung, die ich so für mich getroffen habe. Ich habe großen Respekt davor, dass so viele Menschen Halt in ihrem Glauben an Gott finden. Ich selber habe für mich in der Kritik zur Institution die Entscheidung getroffen, nicht mehr Mitglied sein zu wollen.
DOMRADIO.DE: Bleiben wir noch mal beim Stichwort Austritt. Anders als CDU und SPD sind die Grünen in NRW dafür, dass austrittswillige Menschen keine Gebühren mehr bezahlen sollen. Bislang zahlt man ja 30 € Verwaltungspauschale. Wollen Sie den Menschen den Austritt aus der Kirche damit schmackhaft machen ohne diese Austrittsgebühr?
Neubaur: Es geht überhaupt nicht um ein Anreiz-Programm. Es geht darum, dass das ja in jedem Bundesland ganz unterschiedlich geregelt ist. Bremen oder Brandenburg erhebt gar keine Gebühren. Ein Kirchenaustritt verursacht selbstverständlich Kosten in der Verwaltung. Wir sehen aber, dass zum Beispiel darüber, dass das Land Nordrhein-Westfalen die Kirchensteuern einzieht für die Kirchen, bekommt das Land Nordrhein-Westfalen auch Aufwendungen von den Kirchen dafür. Und da übersteigen die Einnahmen, die die Kirchen dafür zahlen, die Kosten für diesen Steuerzahler.
Und wir glauben, dass das gut ist, wenn man dann auch diesen Überschuss, eben die Verwaltungskosten für die Kirchenaustritte, bezahlt und damit sichergestellt ist, dass die Kosten nicht bei den Kommunen hängen bleiben. Einen Austritt einer Kirche, und ich kann es Ihnen auch mal aus eigener Erfahrung sagen, das ist schon ein Schritt. Ich habe da lange drüber nachgedacht und ich glaube, eine mittelbare Kostenübernahme durch Kirchen ist gerechtfertigt, weil auch eine Gebühr aus unserer Sicht niemanden abhalten sollte, aus der Kirche auszutreten und die Finanzierung der Verwaltungskosten wäre gewährleistet.
Das Interview führte Tobias Fricke.