Die Oberammergauer Passionsspiele gehen auf ein Gelübde von 1633 zurück. Damals versprachen die Bürger des oberbayerischen Ortes regelmäßig das Leiden und Sterben Jesu auf die Bühne zu bringen, sofern niemand mehr an der Pest sterben sollte. An Pfingsten 1634 wurde dafür erstmals die Bühne bereitet, über den Gräbern der Pesttoten. Ab 1680 ging die Gemeinde dazu über, die Aufführungen alle zehn Jahre stattfinden zu lassen.
An das Versprechen hielt man sich auch in Krisenzeiten. Ausfallen musste das Spiel lediglich 1770, als Kirche und Staat es im Geist der Aufklärung verboten, und im Kriegsjahr 1940. Eine Verschiebung aufgrund einer Pandemie um zwei Jahre wie 2022 gab es auch schon vor 100 Jahren. Damals hatten der Erste Weltkrieg und die Spanische Grippe viele Mitwirkende dahingerafft.
Die Texte schrieben über die Jahrhunderte meist Ordensleute aus der Umgebung. Verdient machten sich Benediktiner aus dem benachbarten Kloster Ettal wie Ferdinand Rosner (1709-1778). Wesentlichen Einfluss nahm ab 1850 der örtliche Pfarrer Joseph Alois Daisenberger (1799-1883). In Christian Stückl (Jahrgang 1961) übernahm 1990 der jüngste Regisseur aller Zeiten das Spiel, der über die Jahre 2000, 2010 bis 2022 intensiv den Text überarbeitete und ihn von Antijudaismen befreite.
Mehr als die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner des über 5.000 Seelen zählenden Ortes wirkt an der Passion als Laiendarsteller, im Chor oder im Orchester mit. Die Musik stammt von dem Lehrer Rochus Dedler (1779 bis 1822). Auf diese aufbauend hat über die vergangenen vier Spielzeiten Markus Zwink neue Stücke dazu komponiert. Chor und Orchester gehören inzwischen über 100 Personen an. Seit 2020 steht das Passionsspieltheater unter Denkmalschutz. Es fasst rund 4.800 Besucher. Der über 120 Jahre alte Bau sei aufgrund seiner besonderen Konstruktion und Gestaltung, der seltenen Technik im Bühnenhaus und seiner hohen geschichtlichen Bedeutung für das Volks- und Laientheater schützenswert, hieß es in der Begründung. Das Passionsspiel selbst wurde 2014 von der Unesco in die Liste des Immateriellen Erbes der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen.
Im 19. Jahrhundert erlangte das Freiluftspiel über die Landesgrenzen hinaus Bekanntheit. 1880 erleichterte der Ausbau der Bahnstrecke bis Murnau die Anreise. Das Londoner Reisebüro Thomas Cook sorgte für internationale Gäste. Berühmte Persönlichkeiten wie Franz Liszt, Richard Wagner, Max Reinhardt, John D. Rockefeller und Henry Ford gaben sich die Ehre. (KNA, Juli 2023)